KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes
seitens der Justiz, dass wir mögliche Mörder wären, konnte ich dies durch die gespeicherten Chats entkräften, die ich mit Jutta, Sven und Ole g eführt hatte.
Ein staatlicher IT-Spezialist konnte die IP-Adresse der Internetplattform zurückverfolgen, denn natürlich war diese gefälscht. Wenn auch nicht zu profe ssionell. Das führte sie dann zu Ole.
Der die Wohnung in den folgenden zwei Tagen nicht verlassen hatte. In der die Polizei auf den beiden vorhandenen Rechnern g enügend Beweismittel fand, die unzweifelhaft bewiesen, dass Sven und Ole ihre Aufgabe als Sterbebegleiter schon einige Zeit wahrgenommen hatten.
Damit ließen sich sieben Todesfälle in den letz ten 19 Monaten belegen.
Doch Jutta brachte dies nicht allzu weit.
Wie sich herausstellte, war ihr Ex nach ihrer Trennung auch ein Kunde von Sven und Ole gewesen. Mit seinem Freitod zerschmetterte dann auch endgültig etwas in ihr.
Am Tag der Urteilsverkündung sah ich Jutta zum ersten Mal in die Augen. Da waren dann keine Haare, hinter denen sie sich versteckte.
Ihr Blick war erschreckend klar und – sie lächelte.
Dann verließ sie als erste den Gerichtsraum.
Ich habe sie nur wenige Minuten später zum letz ten Mal gesehen: zerschmettert auf dem Parkplatz vor dem Gerichtsgebäude.
Sie ist einfach in den obersten Stock gefahren, hat dort ein Büro betreten und ist an der verdutzten Ju stizangestellten vorbei zum Fenster gegangen.
Hat das Fenster geöffnet und der Dame noch einen „schönen Tag“ gewünscht. Nein , eigentlich hat sie: „Ist ein schöner Tag, nicht?“, gesagt.
Und … na ja.
Und ich?
Ich sitze hier und spreche zu Ihnen.
Ich weiß, das ist keine schöne Geschichte.
Aber es ist meine.
Und ich habe mich entschlossen , sie noch ein Stück weiter zu schreiben.
„Ist ein schöner Tag, nicht?“
Das ist Juttas Vermächtnis an mich. Ohne dass sie es wollte.
Und in diesem Satz ist eigentlich alles drin, was das Leben ausmachen sollte. Auch mit Verneinung.
Denn es liegt an jedem von uns am Ende des Tages dieses „Nein?“ zu verneinen.
Mit allem, was wir diesem „Nein?“ entgegen halten können.
Uns beide verbindet hier und jetzt nichts weiter als unsere Worte. Und diese Telefonleitung.
Ich kenne Sie nicht und Sie kennen mich nicht.
Das einzige, was ich Ihnen genau jetzt versichern kann, dass ich der Meinung bin, dass die Welt traurig und schön ist. Und es letztendlich an uns ist, zu entscheiden, welchem Teil wir davon folgen wollen.
Also frage ich Sie: „Ist es ein schöner Tag - oder nicht?“
Ich höre…
Einmal Hölle und zurück?
„Null Uhr. Hier ist das erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau!“
Die Worte der Tagesschausprecherin mahlen in seinem Bewusstsein wie Wasser auf einem Mühlrad. Langsam kommt sein benebelter Geist wieder in Gang. Die unbenutzte Kippe in seinem Mundwinkel ist leicht zerdrückt. Der Geschmack in seinem Mund ist bitter, als ob vor längerer Zeit etwas dort in seine Mundhöhle gekrochen und gestorben ist.
Ungehalten pflückt er sich den unnützen Glimmste ngel von seinen Lippen, zerbröselt ihn zwischen seinen Fingern, lässt ihn auf den Küchenboden regnen.
Wie lange hat er hier schon auf dem Gesicht liegend auf dem Küchentisch geschlafen?
Vera weiß es. Bestimmt.
Er wird sich hüten, sie zu fragen.
Das wird nur noch einen weiteren hämischen Kommentar von ihr nach sich ziehen.
Und darauf hat er wirklich keinen Bock.
Heute nicht.
Der letzte Streit zwischen ihnen beiden hängt fast noch greifbar in der abgestandenen Luft, scheint von der Decke und den Schränken der Einbauküche widerzuhallen.
Nee , nee – jetzt nicht.
Aus dem tragbaren Fernseher, strategisch günstig eing ezwängt zwischen Brotkasten und Kühlschrank, werden soeben die neuesten Scharmützel aus Syrien frisch in die Küche geliefert. Interessiert ihn nicht.
Ihm reicht der tagtägliche Kampf mit seiner Ang etrauten.
Manchmal heiratet man den Menschen den man liebt.
Manchmal heiratet man den Feind fürs Leben.
In diesem Fall war der Übergang in den Jahren ein fließe nder.
Sein sich ständig drehendes Arbeitskarussell war ein unerschöpfliches Thema, das den Niedergang ihrer trauten Zwe isamkeit immer wieder befeuerte.
Ihre Verachtung ihm gegenüber wurde von ihrem schle ichenden sozialen Niedergang über die Jahre hinweg genährt. So wie sie sich mittels billiger Kalorien nährte. Ihre Üppigkeit war so schmerzhaft unerotisch geworden, dass selbst die dünne Serviermaus aus
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