KopfKissenKino - Hinterhaeltig Unerwartetes
wir
Tanja hat mich in diese Einöde geschleppt, weil sie unbedingt diesen Berg bezwingen will. Diesen Berg aus ihrer Kindheit, bei dem ihr die Puste auf halbem Weg ausging. Und da wir das Wochenende in der Nähe verbringen, hat sie dies kategorisch auf ihre Agenda gesetzt.
Mit viel gutem Willen, der meinen Missmut nur a nsatzweise deckeln kann, bin ich also mit dabei.
Berge ausgerechnet. Mir machen Höhen schon immer Angst. Schon der Gang auf den Balkon unserer Wohnung im zweiten Stock stellt mich immer vor eine echte Herausforderung.
Immerhin habe ich eine Arbeit, die mich auf dem B oden der Tatsachen, sprich: ebenerdig hält.
Hier nun im Wechselspiel zwischen Gestein, Geröll, Gras und Moos oberhalb der Baumgrenze wird meine Zuneigung zu dieser Frau auf eine echte Probe gestellt.
Alles an mir sehnt sich nach dem Tal, das sich immer mehr entzieht. Aber Tanja ist unerbittlich. Immer ist sie mir voraus. Manchmal bleibt sie stehen, wartet auf mich. An besonders unzugänglichen Stellen gibt sie mir Hilfestellung — auch wenn ich nicht danach
verlange. Nur damit es schneller voran geht. Dabei ist sie auch wegen mir hier.
Sagt sie zumindest.
Um mit mir zusammen ihr Kindheitserlebnis erfolgreich abschließen zu können.
Als ich allerdings "Von den blauen Bergen kommen wir" pfeife, sieht sie mich an, als wolle sie mich fressen. So erstirbt mein fröhliches Pfeifen so schnell wie es gekommen ist.
Ihr Wille eilt ihr voraus und scheint niemals Pause machen zu wollen. Mit zusammengebissenen Zähnen, das Gesicht meist durch einen Vorhang aus Haaren
verdeckt, versucht sie mit ihm Schritt zu halten.
Jetzt versperrt ein Dornenfeld den Weg. Energisch versucht sie sich durchzuwinden — doch die Natur lässt dies nicht zu. Das macht Tanja richtig fuchsig. Wenn — dann. Kein Aber.
So ist sie schon immer gewesen.
Doch dieses Aber ist stärker als sie.
Die Dornen krallen sich in ihre Kleidung und reißen ihre Haut auf.
„Mist!" Sie saugt kurz einen Blutstropfen weg.
Dann gibt sie mir zu verstehen, dass ich warten soll.
Nichts lieber als das. Wenn mein Schatz sich etwas in den Kopf gesetzt hat, geht man das eine oder andere Mal besser zwei Schritte beiseite, bis sich der Rauch verzogen hat. So wie jetzt, als sie schlussendlich akzeptieren muss, dass es kein Durchkommen gibt.
Noch mal saugt sich an der Risswunde an ihrer Hand und schaut sich um. Dann hält sie inne.
„Wassndas?", nuschelt sie mit den Lippen auf dem Handr ücken. Sie stellt die Frage mehr sich selbst als mir und langt durch die Dornen hindurch nach etwas,
das ihre Aufmerksamkeit gefunden hat.
Ich sitze keuchend auf einer Felsformation und warte ab. Es ist ein Briefumschlag, den sie hervorzieht.
Leicht zerknittert , aber in einer Plastikhülle, die ihn vor den Widrigkeiten des Wetters schützen soll.
Das war auch so geplant von mir.
Ein Regenguss wäre das letzte gewesen, das mir die Tour hätte vermasseln sollen.
Allzeit bereit, heißt es ja nicht von ungefähr.
Gestern Nachmittag, als sie in die Stadt fuhr und ich zurückblieb, weil ich mich im Garten des angemieteten Ferienhäuschens lieber sonnen wollte, war ich stattdessen hier herauf gekeucht und hatte den Umschlag platziert. Das war kein Pappenstiel gewesen.
Und wie sie sich darüber lustig gemacht hatte, dass sonnen mich ja wirklich anstrengen würde, weil ich bei meiner Rückkehr halb erschlagen auf die Liege gesunken und eingeschlafen war.
Über meinen mir dabei zugezogenen Sonnenbrand grinste sie noch heute Morgen.
Scheiße, tut der weh.
Doch Tanja dabei zu beobachten, wie sie den Zettel aus dem Umschlag zieht, ist alle Mühen wert.
Sie streicht sich die Haare aus dem Gesicht als sie mich ansieht. Ihre Anspannung fährt ihr aus den Gliedern. Ihre Züge werden weich.
Und ihr Blick strahlt.
„Du Mistkerl!", flüstert sie rau und es liegt sehr sehr viel Liebe in dieser Beschimpfung.
Dafür kenne ich meine Frau lange genug , um dies zu erkennen.
Sie muss mir nicht vorlesen, was auf dem Papier steht, ich weiß es ja: „Erster!", steht da. „Können wir jetzt BITTE wieder zurückgehen?" ebenfalls. Und dann noch: „Ich hab dich auch lieb, Miststück!"
Sie kämpft sich aus den Dornen hervor, geht auf mich zu, hockt sich vor mich hin und umarmt mich.
Fest. Richtig fest.
So bleiben wir eine ganze Weile, bis sie sich von mir löst und meine Hände mit ihren nimmt.
„Ich glaub, es wird Zeit!", murmelt sie. „Jetzt könnt ich doch noch mal das Lied
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