Kopfueber in die Kissen Roman
Möglichkeit, Hilfe herbeizurufen, als ihr Blinddarm durchbrach.«
»Da müssen Sie ja an ein paar ziemlich abgelegenen Orten aufgewachsen sein.«
»Nein. Ich wuchs in St. Gert’s auf. Mum hat mich dort gelassen, damit sie arbeiten konnte.«
Lady Emma klang deswegen nicht bitter, aber Kenny hielt sehr wenig von einer Frau, die ihr Kind verwaist zurückließ, bloß damit sie in der Weltgeschichte herumgeigen konnte. Andererseits, wenn seine Mutter mehr unterwegs gewesen und weniger an ihm drangehangen wäre, dann hätte er sicher eine glücklichere Kindheit gehabt.
Komm, gib deiner Mommy ein Küsschen, mein Schatz. Mein Baby, mein Herzchen. Mommy liebt dich am allermeisten. Vergiss das nie.
»Haben Sie noch Geschwister?«, erkundigte er sich.
»Nein.« Sie sank tiefer in die Wanne. »Ich würde gerne gleich morgen mit meinen Recherchen anfangen, und gegen eine kleine Rundfahrt, um die Gegend kennen zu lernen, hätte ich auch nichts einzuwenden. Außerdem muss ich mir ein paar neue Anziehsachen kaufen. Ach, und wissen Sie vielleicht, wo ich einen Tätowierladen finde?«
Er verschluckte sich so heftig, dass ihm das Bier durch die Nase sprühte. »Was?«
Sie schob ihre Sonnenbrille hoch und betrachtete ihn treuherzig. »Am liebsten hätte ich ein Veilchen. Aber ich fürchte, das sähe einem Bluterguss zu ähnlich, was natürlich nicht in Frage kommt. Ach, mir gefallen so viele Blumen - Mohnblume, Purpurwinde, Sonnenblume -, aber die sind alle so riesig. Eine Rose wäre sicher nicht schlecht, aber das erscheint mir doch ein wenig zu klischeehaft, nicht wahr?« Seufzend ließ sie ihre Sonnenbrille
wieder über die Augen gleiten. »Normalerweise fällt es mir nicht so schwer, mich zu entscheiden, aber in diesem Fall … Was denken Sie?«
Zum ersten Mal in seinem Leben fehlten ihm die Worte. Das war eine derart ungewöhnliche Erfahrung, dass er zunächst einmal untertauchte, um sich wieder zu sammeln. Offenbar dauerte ihr das jedoch zu lange, denn er war noch nicht mal halbwegs außer Atem, da klopfte sie ihm schon auf den Kopf, was ihm ungeheuer stank. Böse tauchte er wieder auf. »Sie wollen sich also wirklich tätowieren lassen?«
Sie besaß den Nerv zu lächeln. »Es ist schwerer, sich in diesem Land verständlich zu machen, als ich dachte. Und wenn Sie wieder vorhaben, einfach unterzutauchen, dann warnen Sie mich bitte vorher. Ich fürchtete schon, Sie würden ertrinken.«
Er fühlte, wie er zu kochen begann, was seinen Blutdruck noch mehr in die Höhe trieb. »Das hat überhaupt nichts mit Verständigungsschwierigkeiten zu tun! Was ich meine, ist, dass jemand wie Sie der Letzte ist, der eine Tätowierung haben sollte!«
Zum ersten Mal, seit er sie kannte, wurde sie vollkommen still. Einen Moment lang verharrte sie regungslos, dann tauchte langsam eine Hand aus dem Sprudelwasser auf. Sie nahm ihre Sonnenbrille ab, legte sie neben ihr Bier auf den Wannenrand und blickte ihn mit ihren honigbraunen Augen an. »Was meinen Sie damit? Was meinen Sie mit ›jemand wie ich‹?«
Eindeutig hatte er sie verärgert, doch der Grund hierfür war ihm vollkommen schleierhaft. »Nun, eine respektable Person wie Sie, das ist das Eine. Außerdem konservativ.«
Langsam erhob sie sich, und der Ausdruck auf ihrem Gesicht verriet, dass er soeben vor den Schuldirektor zitiert worden war. »Ich möchte Ihnen hiermit mitteilen, Mr. Traveler, dass ich die am wenigsten konservative Person bin, der Sie je begegnet sind!«
Schon wollte er loslachen, wurde dann jedoch von ihren wunderschönen weißen Schenkeln, an denen das Wasser herunterperlte, abgelenkt. »Was Sie nicht sagen«, krächzte er.
»Ich bin - ich bin … vollkommen unrespektabel! Sehen Sie mich doch bloß an! Ich sitze mit einem wildfremden Mann in einem Jacuzzi!«
»Aber Sie sind nicht nackt.« Das konnte er sich einfach nicht verkneifen.
Sie wurde puterrot, und ehe er sich’s versah, sackte sie wieder in die Wanne zurück und begann sich auszuziehen - gleich hier, direkt vor seinen Augen, mit nichts als Wasserblasen, die ihren jungen Körper vor ihm verhüllten. Jetzt flog der Badeanzug in hohem Bogen aus der Wanne und landete mit einem Platsch auf den Terassenfliesen.
»Da bitte! Und wagen Sie es ja nicht, mich nochmal konservativ zu nennen!«
Er grinste. Das ging ja kinderleicht vonstatten.
Als Emma sein Prachtgebiss aufleuchten sah, wusste sie, dass sie wieder einmal in der Klemme steckte. Sie hatte die Beherrschung verloren, obwohl sie so hart an sich
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