KOR (German Edition)
herunterzubringen.
Es gab schlechte Piloten und es gab gute. Norton hielt sich für vortrefflich. Er konnte eine Propellermaschine in jeder Situation und auf jeder Fläche landen. Jedenfalls glaubte er das. Das Wort Selbstüberschätzung kannte er nicht.
Er setzte zum Landeanflug an. Die ebene Fläche würde es leicht machen, den Vogel aufzusetzen. Selbst dann, wenn seit einem knappen Jahr niemand mehr Schnee geschippt hatte. Norton blickte auf die Instrumente. Die Dä m merung glich zunehmend einer schwarzen Wolke, welche die Sicht erschwe r te. Hätte er sich allein auf seine Augen verlassen, so würde ihm nun kalter Schweiß auf der Stirn kleben. Norton verließ sich seit jeher auf technische Hilfsmittel. Der Anflug wurde dadurch zu einem Kinderspiel.
Sein selbstsicheres Grinsen verschwand, als die Anzeigen für Höhe und Geschwindigkeit plötzlich auf n ull standen. Im selben Augenblick sto t terten die Rotoren, als wäre kein Treibstoff mehr im Tank. Norton wusste nicht mehr, wie er reagieren sollte.
„Passen Sie auf!“
John Arnolds Schrei riss ihn aus seiner Starre. Er hielt das Steuer zu weit nach vorn , sodass sie in einem regelrechten Steilflug auf das Eis zurasten.
In der Kabine breitete sich Panik aus.
Einen Moment lang dachte Norton, wie es wäre, die Maschine einfach in den Boden zu rammen. Er schüttelte seinen Kopf. Seit wann trug er Selbs t mordabsichten mit sich herum?
Sein Selbsterhaltungstrieb kehrte in letzter Sekunde zurück. Er riss das Steuer hoch. Die Dornier heulte auf. Durch ihre Schräglage berührte der linke Flügel die Eisfläche und hinterließ eine breite Schleifspur.
Norton riss das Steuer um.
Das Flugzeug geriet in eine einigermaßen normale Position. Doch die K u fen berührten bereits das Eis, was der Kabine einen heftigen Schlag versetzte.
Die Geschwindigkeit war viel zu hoch.
Sie schlitterten wie ein Rennwagen über den Boden, wobei der Vogel bei jeder kleinen Erhebung in die Höhe schnellte.
Norton wusste sich nicht anders zu helfen, als die Propeller auszuschalten.
Die Dornier sackte zu Boden und rutschte wie ein Schlitten, der von einem Rudel wild gewordener Huskys gezogen wurde, über den Schnee.
Die Geschwindigkeit nahm ab.
Schließlich blieb das Flugzeug stehen.
Die Station lag dreihundert Meter hinter ihnen.
John Arnold löste mit zitternden Händen seinen Gurt. „Können Sie mir s a gen, was plötzlich in Sie gefahren ist?“
„Verdammt, Norton, wir hätten alle draufgehen können!“ Diese Salve kam von Maggie.
Norton fühlte sich leer. Er starrte vor sich hin, als wäre er soeben aus e i nem schlimmen Traum erwacht. Die Aufregung der anderen nahm er nur noch als entferntes Gemurmel wahr.
Ein Schwall eisiger Luft brachte ihn wieder zu sich.
John Arnold stand bereits vor dem Flugzeug. Er starrte Norton mit finst e rem Blick an. „Was war vorhin los?“
Er öffnete seinen Mund, doch seine Zunge klebte an seinem Gaumen, s o dass er kein richtiges Wort hervorbrachte.
Hinter ihm zwängte sich Maggie nach vorn und hielt ihm eine Wasserfl a sche entgegen. „Nehmen Sie einen Schluck.“
Norton ergriff die Flasche und führte sie an seine Lippen. Die Flüssigkeit tat gut.
„Wie fühlen Sie sich?“
„Verdammt scheiße“, brachte er krächzend hervor.
„Dann sind Sie noch immer in Ordnung“, erwiderte Arnold.
„Was ist passiert?“ Maggie schraubte die Flasche zu.
Norton fühlte sich, als würde die gesamte Kälte des Südpols in seinen Kö r per dringen. „Die Instrumente spielten auf einmal verrückt.“
„Haben Sie dafür eine Erklärung?“, fragte Kruger .
Wütend schlug Norton gegen das Steuer. „Wenn ich eine hätte, ging es mir verdammt noch mal besser!“
Maggie löste seinen Gurt. „Nur die Ruhe, Norton.“
„Was heißt hier nur die Ruhe? So etwas ist mir noch nie passiert! Ich bin kein verfluchter Anfänger, verstanden?“
*
KOR ragte wie ein düsteres Mahnmal aus dem eisigen Boden. Der Name der Station stand in großen Buchstaben auf der ihnen zugewandten Querseite. Die blaue Farbe der einzelnen Lettern war durch die Sonneneinstrahlung ausgebleicht und durch den Wind verwittert. Es gab nur wenige Stellen, an denen sich Schnee festgesetzt hatte. Die Fenster des Gebäudes starrten du n kel und leer in die Ferne, als würde sich die beginnende Polarnacht hinter den Scheiben verbergen.
Julia stapfte mehrere Meter vor Chad und den anderen durch den Schnee, als könnte sie nicht schnell genug an ihr Ziel gelangen. Schon
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