Kornmond und Dattelwein
stopfte sie in Säcke. Die Fische verbreiteten einen entsetzlichen Gestank, und je mehr sie von ihnen einsammelte, desto mehr tauchten vor ihr auf. Ich muß schneller machen, sagte sie sich im Traum. Und dann begann ihr Boot unter der Last der gefüllten Säcke zu sinken. Und Inanna begriff, daß sie gescheitert war. Doch am Morgen danach konnte sie sich nie daran erinnern, warum oder wie sie gescheitert war.
III
Alnas Großmutter lag im Sterben. Alle hatten gedacht, sie hätte sich wieder erholt, und nun lag sie endgültig im Sterben. Wahrscheinlich erging es so den Menschen, dachte Alna, die so ungeheuer alt waren: Sie brachen wie Spielzeug auseinander, und damit war es mit ihnen vorbei. Einmal hatte sie einen Kreisel besessen, und dann war die Schnur abgegangen. Vielleicht verhielt es sich mit der Großmutter genauso. Nur klang es furchtbar komisch, wenn man es so sagte. Und Alna wußte schon, daß dies nicht die richtige Zeit war, komische Dinge zu sagen. Nicht, wenn alle Erwachsenen lange Gesichter machten und sich so leise bewegten, daß sie plötzlich hinter einem standen, ohne daß man sie bemerkt hatte.
Ganz ehrlich, sie würde die Großmutter vermissen, die sie immer auf dem Schoß gehalten und ihr gesüßten Granatapfelsaft gegeben hatte. Lagsha, ihre Kinderfrau, gab ihr nie Granatäpfel, weil sie meinte, die würden so schrecklich abfärben. Die liebe Großmutter war da ganz anders. Sie hatte Alna auch so viele Geschichten erzählt; von damals, als sie selbst noch ein kleines Mädchen gewesen war. Hübsche und lustige Geschichten wie die vom Frosch, der einen ganzen Fluß entlang gehüpft war (was natürlich nicht wahr sein konnte, aber sie hatte immer so getan, als würde sie der Großmutter glauben), oder die vom Zauberstein, der alles verwandelte, mit dem er in Berührung kam.
»Was möchtest du denn für ein Tier sein, wenn du dir das aussuchen dürftest?« hatte die Großmutter einmal gefragt, und Alna hatte geantwortet, daß sie am liebsten ein Vogel mit ganz großen Flügeln sein würde. »Dann würde ich so hoch fliegen, daß niemand mich mehr fangen könnte. Und dann würde ich in die Berge zurückkehren. Denn Mama hat gesagt, dort gehören wir wirklich hin.« Dann hatte sie die Traurigkeit in den Augen der Großmutter gesehen, sie aber nicht verstehen können. Und sie hatte rasch hinzugefügt: »Aber manchmal komme ich zurück, um dich zu besuchen.« Da hatte die Großmutter wieder gelacht, und sie hatten zusammen Granatapfelsaft getrunken, bis ihre Zungen ganz dunkelrot waren. Aber jetzt zerbrach die Großmutter wie ein Spielzeug, und Lagsha hatte gesagt, Alna würde sie wahrscheinlich nie wiedersehen.
Mama war so komisch gewesen heute morgen, als der Bote mit der Meldung kam. Sie hatte ganz anders ausgesehen, hatte Alna gepackt und sie dann wieder losgelassen. Und das so lange, bis Alna vor lauter Angst angefangen hatte zu weinen. Dann war Mama aus dem Zimmer gelaufen und hatte dabei die beste Lampe umgeworfen. Die Lampe war auf dem Boden zerbrochen, und das Öl war überall hingespritzt. Alna hatte erwartet, daß Lagsha darüber sehr wütend werden würde, aber da hatte sie sich geirrt. Lagsha hatte auf ganz merkwürdige Weise das Öl aufgewischt, so als horchte sie die ganze Zeit auf etwas.
Wovor hatten die Erwachsenen denn Angst? Sie liebte ihre Mama ganz doll, aber sie verstand nie, warum Mama die Dinge tat, die sie tat. Ja, Großmutter war am Sterben, aber mußte man deswegen die beste Lampe zerbrechen? Es war ruhig heute morgen, so ruhig, daß es Alna sehr verdächtig vorkam. Das Sonnenlicht zauberte kleine Regenbögen auf die Ölflecke am Boden, aber Alna versuchte, nicht hinzusehen. Jedesmal wenn sie es doch tat, fragte sie sich, ob die alten Leute vielleicht nicht die einzigen waren, die zerbrachen. Möglicherweise erging das anderen auch so. Wenn Laghsa starb, wer würde dann das restliche Öl aufwischen? Und wer würde ihr morgen das Frühstück bringen?
Konnte Mama auch sterben? Konnte jeder sterben?
Was sollte dann aus ihr werden? Und wenn nachher keiner mehr außer ihr da war? Wenn sie ganz allein wäre?
Die Königin lag auf ihrem Bett und hatte sich wie ein Baby zusammengerollt. Die geschwollenen Hände waren um die Knie geschlungen. Ihr Gesicht war eingefallen, wirkte wie eingestürzt. Die Luft im Zimmer roch modrig und süß, ganz so wie bei Alna. Fieber und Tod, dachte Inanna. Ich kann das nicht noch einmal durchstehen. Nicht so bald schon wieder.
»Sie ist sehr
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