Kornmond und Dattelwein
krank, nicht wahr,
Joyta?
« Die zwei Priesterinnen standen zu beiden Seiten des königlichen Bettes. Ihre nackten Arme waren so rund und so glatt wie Fischblasen. Grünes Licht drang durch die Leinenvorhänge. Man kam sich vor wie unter Wasser. Inanna fielen ihre bösen Träume wieder ein. Der niedrige Fluß und die Säcke voller toter Fische. Die Priesterinnen starrten sie an, als erwarteten sie von ihr ein Wunder. Inanna berührte das Handgelenk der Königin. Die alte Frau regte sich leicht und stöhnte. Weiße Blasen waren auf ihren Lippen und auf ihrer Zunge. Blasen so groß wie Hirsekörner.
»Wie lange hat sie sich schon von der wachen Welt verabschiedet?« fragte sie die Priesterinnen. Eine der beiden Frauen strich nervös ein Ende der reich verzierten Bettdecke gerade.
»Sie schläft doch nur,
Joyta.«
»Nein«, erklärte Inanna, hob ein Lid der Königin und studierte die gelben Augen, »sie schläft nicht, verstanden?«
Eine der Priesterinnen äugte über Inannas Schulter zur Königin und fuhr schon nach dem ersten Blick so weit zurück, als wollte sie möglichst viel Platz zwischen sich und die Herrscherin bringen. Inanna berührte den Hals der Kranken und fühlte den Puls. Schnell, hart und wie ein wildes Tier, das sich mit allen Mitteln aus einer Falle befreien will; oder wie ein Küken, das bemüht ist, die Eierschale aufzupicken. Inanna bedauerte die alte Frau. Dann hatte sie Angst. Die Königin lag im Sterben, daran konnte kein Zweifel bestehen. Sie war alt und schwach. Alnas Pulsschlag war nie so rasch gewesen, nicht einmal in den kritischsten Momenten. Aber die Königin war Alna während deren Krankheit nie nahe gekommen. Wenn sie aber nun am Flußfieber litt, hieß das doch, daß bald jedermann in der Stadt von der Seuche befallen werden konnte.
Die Beerdigungsfeuer brannten wochenlang... Du kannst es dir gar nicht vorstellen ...
»Joyta.«
Das Priesterinnenpaar sah sie noch immer hoffnungsvoll an. Die ältere der beiden räusperte sich und faltete die Arme vor ihren schweren Brüsten. Ihr Gesicht war mit blassen Sommersprossen überzogen, und ein Leberfleck über ihrer Oberlippe tanzte verwirrend auf und ab, während sie redete. »Man hat uns berichtet«, erklärte sie zögernd, »Ihr wüßtet eine Heilung gegen das Fieber. Irgendein Tee .. . Als Eure Tochter krank war, habt Ihr sie mit einem Tee aus Kräutern geheilt, die Ihr von dort mitgebracht habt'.« Ein fetter weißer Arm zeigte in die Richtung der Berge. »Da nun auch die Königin von der Krankheit befallen ist, könntet Ihr da nicht ...« Sie hielt inne und ließ die zweite Hälfte des Satzes unausgesprochen. Inanna entdeckte, daß die Priesterinnen Angst hatten. Die Königin ächzte und rührte sich unkontrolliert. Das Gesicht gelb, und der Atem so stoßweise wie bei einem Blasebalg. Sie war immer nett zu mir, dachte Inanna, und ich habe sie sehr liebgewonnen, auch wenn sie zum Zynismus neigt und allem und jedem mit einer scharfen Zunge begegnet. Sie ist Enkimdus Mutter und Alnas Großmutter. Wie viele blaue Blüten sind übriggeblieben? Ein halbes Päckchen? Noch weniger? Angenommen Alna erleidet einen Rückfall? Oder ich selbst werde krank? Sie strich über die Haut der alten Frau, spürte die Hitze, die sie ausstrahlte, und sah auf ihre geschwollenen Hände und Füße. Sie ist auch ohne das Fieber dem Tode sehr nahe. Selbst wenn ich sie wie durch ein Wunder heilen könnte, wie lange hätte sie danach noch zu leben? Warum sie aus einem Tod heraus- und dem nächsten zuführen?
In der Kupferkanne brannten die Kohlen und warfen wirre Schatten an die Wände. Die schweren Vorhänge hingen unbewegt vor den Fenstern. Das einzige Geräusch war das Röcheln aus der Kehle der Kranken.
Inanna stellte fest, daß die beiden Priesterinnen immer noch auf eine Antwort von ihr warteten. »Ich kann nichts für sie tun.« Kaum eine Handvoll war von den blauen Blüten übriggeblieben, und wer wußte schon, ob die Seuche sich nicht noch einmal Alna zum Opfer holen würde? Sie zwang sich fortzufahren: »Das Heilmittel kommt von tief aus den Bergen. Und mein kleiner Vorrat ist aufgebraucht.« Sie fühlte sich miserabel, als sie diese Worte aussprach, kam sich vor wie eine Henkerin, die die Königin gerade zum Tode verurteilt hatte. Sie nahm die schlaffe Hand der Alten in ihre. Es tut mir so leid, dachte sie, bitte, vergib mir. Du verstehst doch, daß ich es nur um des Kindes willen tue.
»Gar nichts mehr übrig?« insistierte die Priesterin.
»Gar
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