Kornmond und Dattelwein
unterlaufen, lasse ich dich in den Fluß werfen«, warnte sie vorsorglich.
Die Kinderschwester wurde blaß und verbeugte sich tief. »Ich lieb Euer Kind, als wäre es mein eigenes.«
Inanna schämte sich plötzlich dafür, die Frau so bedroht zu haben. »Bitte, achte gut auf Alna«, sagte sie viel weicher.
Die Frau senkte den Kopf. »Möge Lanla dem armen Wurm die Gesundheit zurückschenken«, erklärte sie mit tiefer Stimme. Aber in ihrer Miene stand deutlich geschrieben, daß sie nicht damit rechnete.
Die Ledertasche mit den Riemenknoten, die sich nach einigen nassen Wintern fest zusammengezogen hatten. Inanna verwünschte die Knoten und versuchte, sie mit den Zähnen zu lösen. Nicht auszuschließen, daß der gesamte Tascheninhalt verdorben war. Sie nahm ein Kupfermesser vom Tisch und schnitt ungeduldig in die Riemen. Die Tasche platzte schließlich auf, und Kräutersäckchen purzelten auf den Tisch. Rosmarin, Wacholder, Wurzeln, Lilienblüten. Inanna fiel gleich auf, daß einige der Pflanzen verrottet waren, und sie sandte ein Stoßgebet aus, daß überhaupt noch et was brauchbar sein möge. Wo waren nur diese Blumen?
Ganz am Boden, unter den Malven fand sie das Gesuchte: ein kleines Strohpäckchen mit getrockneten Blüten. Die Blüten waren verblaßt, wiesen aber immer noch einen blauen Schimmer auf. Große Göttin, wie wenig von ihnen übriggeblieben war! Sie schüttelte das Päckchen aus, und die Blüten bedeckten kaum ihre Handfläche. Warum hatte sie damals nicht mehr von ihnen gepflückt? Warum hatte sie nicht die ganze Ledertasche damit gefüllt, als sie die Gelegenheit dazu gehabt hatte? Sie würde nie den Ort wieder-finden, an dem sie die blauen Blumen entdeckt hatte, auch nicht, wenn die Königin ihr eine ganze Armee als Eskorte mitgab, um vor den Nomaden geschützt zu werden. Sie waren so selten, und bei all den Gelegenheiten, bei denen sie Kräuter und Pflanzen gesammelt hatte, war sie nie wieder auf solche gestoßen. Aber nun war es zu spät, das Versäumte zu bedauern. Der schmale Vorrat mußte eben ausreichen, das Fieber in Alna zu brechen. Und wenn sie selbst krank wurde...
Inanna verdrängte diesen Gedanken und kippte die Blüten in das Päckchen zurück. Sie eilte zur Tür hinaus. Als sie Alnas Zimmer wieder erreichte, wedelte dort das Kindermädchen dem Baby mit einem Palmenzweig Luft zu.
»Wie geht es ihr?«
»Eben noch ist sie aufgewacht und hat geweint.«
»Bring mir eine Kohlenpfanne und eine Schüssel.« Blasser und dünner Tee mit der Farbe von neuem Gras. Was für ein schwaches Mittel gegen das starke Fieber. Inanna tauchte den Saum ihres Gewands in die Brühe und flößte Alna Tropfen um Tropfen ein. Die Lippen des kleinen Mädchens waren voller Blasen. Sie wandte den Kopf ab, wollte nicht schlucken.
»Tut weh, Mama«, weinte sie.
Inanna strich der Tochter über das Haar und zwang sich dazu, beruhigend und freundlich zu sprechen. »Trink doch wenigstens ein bißchen davon, bitte.«
»Nein«, weigerte sich Alna, und Inanna erkannte in der Stimme des Kindes ihre eigene Sturheit wieder. Dann erinnerte sich Inanna an das Spielzeug in ihrer Tasche, daß sie am Morgen erstanden hatte.
»Sieh mal hier, Alna.« Freude strahlte aus dem Gesicht des Mädchens, als sie den Vogel sah, und sie streckte die kleinen Hände danach aus.
»Wenn du etwas von dem Tee trinkst, gebe ich dir den Vogel.« Und ich gebe dir auch alles andere, was du willst, dachte Inanna, wenn du nur dabei mithilfst, dich am Leben zu erhalten.
Gib mir Vogel.«
Erst wenn du deinen Tee getrunken hast.« Alna öffnete den Mund, saugte ein paar Tropfen vom Saum und schluckte sie. »Nur noch ein kleines bißchen.« Nun hatte sie fast den ganzen Tee zu sich genommen. Inanna legte ihr den kleinen Vogel in die Hand. Und das Kind begutachtete ihn von allen Seiten.
Ich mag richtige Vögel lieber, Mama, aber der hier ist auch ganz schön.« Sie lachte Inanna an. In ihren Augen glänzte das Fieber. »Kann ich nicht auch einen richtigen Vogel haben?«
»Ja, sobald du wieder gesund bist.«
»Gut, das gefällt mir. Bei richtigen Vögeln gehen die Flügel nicht ab, nicht wahr?«
»Nein«, sagte Inanna, »das tun sie nicht.«
Jeden Tag sah Inanna hilflos zu, wie das Fieber das Kind weiter und weiter mit sich forttrug. Alna kam ihr vor wie jemand, der mit einem Boot weit hinausrudert. Ihre Züge schienen sich zu verändern und verschwammen, so als ob eine große Entfernung sie vom Rest der Welt trennen würde. Und wenn
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