Kornmond und Dattelwein
nichts mehr.« Inanna wandte sich ab und legte der Königin die Hand auf die Brust zurück. Sie betrachtete das Gesicht der Kranken. Keine Ruhe war in ihren Zügen. Kein Friede mit sich selbst und leider auch kein Verzeihen.
Die ältere der beiden Priesterinnen zog der Königin die Decke über die Schultern und schüttelte traurig den Kopf. »Dann muß die Königin sterben.«
Die jüngere der Priesterinnen hob einen Palmfächer, stand dann aber bewegungslos da, als wüßte sie nicht, was sie mit dem Gerät anfangen sollte. Draußen bellte ein Hund, schwieg aber abrupt, so als habe ihn jemand zum Schweigen gebracht. Inanna fiel plötzlich auf, wie still es im Palast war. Alle schienen zu warten. Sie stellte sich vor, wie das Gesicht des Todes aussehen müßte. So wie die Arme der Priesterinnen, ohne Augen und ohne Nase, nur weich und rund und weiß.
»Alna, wir machen einen Ausflug.«
»Fein, Mama.«
»Zieh deinen warmen Umhang und deine festen Sandalen an. Wir verbringen einige Tage draußen, außerhalb der Stadt, Würde dir das gefallen?«
»In einem schwarzen Zelt? Mit Ziegen und Schafen?«
»Nein, kein Zelt und keine Ziegen. Nur du und ich. Wir schlafen unter den Sternen und halten uns in der Nacht aneinander warm.«
»Darf ich meinen Vogel mitnehmen?«
»Nein, aber wir besorgen dir einen neuen, sobald wir uns zurechtgefunden haben.«
»Mama, warum rennst du so? Ich komme nicht mehr mit!« »Komm her, dann trage ich dich eben.« Leere, schweigende Hallen. Plötzlich ein Heulen wie von einem wilden Tier. Inanna hörte Schritte, bevor sie die Frau sah. Das Gewand zerrissen, Haare und Wangen mit einer ockerfarbigen Masse verschmiert und in den Augen das wilde Glühen des Fiebers.
»Die Königin ist tot! Habt ihr es alle gehört? Die Königin ist tot!« Die Frau riß die Arme in die Luft und begann mit hoher Stimme zu klagen. Sie stolperte einen Schritt vor und versperrte den Gang. »Geh mir aus dem Weg!« befahl Inanna. Die Kranke lehnte sich gegen die Wand und starrte die beiden stumpf und irrsinnig zugleich an. Das Klagelied erstarb in ihrer Kehle. Kleine weiße Bläschen zeigten sich auf ihren Lippen, und ihre Haut hatte die Farbe von Melonenrinde.
»Ich fühle mich gar nicht gut«, krächzte sie. Sie griff um sich, um einen festeren Halt zu finden, und stolperte dabei noch weiter auf Inanna zu. »Bitte!« flehte sie und zerrte an Inannas Ärmel. »Bitte hilf mir!« Heiße Finger. Die Krankheit wütete unter der Haut.
»Zurück!« Inanna versetzte ihr einen Stoß. Die Frau glitt aus, landete auf ihrem Hinterteil und blieb so sitzen. Sie sah sich neugierig um, als wisse sie nicht, wo sie hier war.
»Ich gehe jetzt schwimmen«, erklärte sie mit Kinderstimme. »Es ist so heiß hier. Bring mich doch zum Fluß.« Sie erbrach sich und bespritzte dabei Inannas Gewand. Sie riß ihr Kind hoch und rannte davon.
Ein Gang, eine Halle und noch ein Gang. Endlich das Haupttor. Inanna setzte Alna ab und bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen. Draußen vor den Palastmauern pflanzte sich der Ruf, die Königin sei tot, in Windeseile in alle Richtungen fort. Der Palast selbst war verlassen. Ein Hund lag im Schatten einer Dattelpalme. Die Fliesen waren bedeckt mit zerbrochener Keramik und Schmutz. Ein leuchtend rotes Kissen ruhte auf der Spitze eines Strohhaufens. Ein Speer lag herum, so als habe ihn jemand sinnlos durch die Luft geschleudert und dann vergessen. Wo war das Gesinde? Wo die Wächter?
Der schwere Holzriegel, der die Tore verschloß, war so breit wie ein Manneskörper, mindestens zwei Armlängen. Den konnte Inanna allein niemals bewegen. Sie mußte es durch das kleine Tor versuchen, das sie benutzt hatte, wenn sie zur Kaserne wollte. Nur befand sich das auf der anderen Seite des Palasts, nahe der Küche. Der Riegel dort ließ sich leicht bewegen; auch von ihr ganz allein, wenn sie sich etwas Mühe gab.
Eine Frau in einer gelben Robe trat auf eine der oberen Terrassen hinaus und fing an, Gegenstände ziellos auf den Hof zu werfen. Bettzeug, Kleider, einen Schemel, Töpfe mit Schminke. Sie sah aus wie eine der Gefährtinnen der Königin, aber aus dieser Entfernung konnte Inanna das schlecht entscheiden.
Im Gang lag die Kranke auf dem Bauch und versperrte immer noch den Weg. Ihre Augen waren geschlossen. Inanna wußte nicht, ob sie noch atmete, oder nicht. Fliegen hatten sich auf ihrem Gesicht niedergelassen, und auch in dem Erbrochenen. Inanna wurde übel. Sie mußte sie fortschieben, um
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