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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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vorbeizukommen, aber sie konnte sich einfach nicht überwinden, den kranken Körper zu berühren. Eine Fliege krabbelte müßig in das rechte Nasenloch der Frau. Inanna riß Alna hoch und rannte würgend und nach Luft schnappend die Stufen hinunter, die in den Keller führten. Vor einem großen Kornkrug blieb sie stehen, lehnte ihre Stirn dagegen und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bringen.
    »Was hast du, Mama?« Alna zupfte an ihrem Gewand.
    »Mir geht es gut. Doch, mir geht es gut.« Sie wartete, bis die Woge der Übelkeit abgeebbt war. In den Vorratskellern war es kühl, und es roch nach Gewürzen und getrockneten Zwiebeln, Weinschläuche hingen von Haken, und Schüsseln mit Nüssen und Linsen füllten Regale. Inanna zwang sich um des Kindes willen zu einem Lächeln.
    »Hab keine Angst.«
    »Ich versuche es, aber es ist so dunkel hier unten.«
    »Nimm meine Hand.« Etwas Licht kam durch schmale Schlitze direkt unter der Decke. Schatten, Staub und sonderbare Gerüche. Hinter den Vorratskammern führten Stufen in eine Halle mit Zellen, die an eine Bienenwabe erinnerten. Stapelweise Speere, Sensen und Getreideschwingen. Wie leicht man sich hier unten verirren konnte. Zerbrochenes Mobiliar, Krüge mit herausgebrochenen Ecken und ein paar der von der Königin modellierten Statuen; fingerdick mit Staub überzogen und in irgendwelchen Ecken vergessen. Endlich Kochtöpfe und säckeweise Kohle.
    »Wir sind fast da.« Inanna drückte beruhigend Alnas Hand. Es war nur Kohle, aber schon der Anblick reichte aus, ihr die Ruhe wiederzugeben. Sie mußten mittlerweile unter der Küche sein. Bald würden sie die Treppe erreichen, die zum Seitentor führte. Vor dem Eingang zur nächsten Lagerhalle hing ein schwerer Vorhang. Wie sonderbar, er schien erst kürzlich hier angebracht worden zu sein. Und man hatte ihn an den Seiten mit Holzpflöcken an den Wänden befestigt. Was mochte sich dahinter wichtiges verbergen, daß jemand solche Mühe auf sich nahm, eine Vorratskammer so hermetisch von anderen abzutrennen?
    Inanna zerrte an dem Vorhang, und plötzlich lag er in einem Haufen zu ihren Füßen. Zuerst stand sie vor der Kammer und begriff nicht, was sich dort ihren Augen bot. Dann schrie sie gellend, packte Alna und bedeckte dem Kind die Augen.
    »Sieh nicht hin!«
    Arme. Beine. Körper aufgeschichtet wie Feuerholz, manche davon schon halb verfallen. Gebrochene Augen starrten sie an. Irgendwo im Dunkeln das leise Scharren von Ratten. Gelbe Haut. Weiße Bläschen auf den Lippen. Kein Zweifel, woran sie alle gestorben waren. Wie lange wütete die Pest schon im Palast? Wie lange versuchte die Königin schon, den Ausbruch des Flußfiebers geheimzuhalten?
    Am anderen Ende der Kammer führte eine Treppe zum Seitentor. Ein dünner Lichtstrahl fiel auf die gegenüberliegende Wand, und über den Stufen war ein winziges Stück vom blauen Himmel zu sehen, kaum größer als ein Daumennagel. Inanna nahm ihren Umhang ab, warf ihn über Alna und trug das Mädchen an den Toten vorbei zu den Stufen. Nur wenige Schritte trennten sie noch vom Tor, das unter Wildrosen und Trompetenreben verborgen war. Inanna befreite Alna vom Umhang und küßte sie. So viele Dinge gab es auf dieser Welt, von denen sie nicht wollte, daß Alna sie je sehen oder erfahren würde.
    »Sind wir da, Mama?«
    »Ja, wir sind da.« Der Riegel ließ sich leicht bewegen. Als die Tore aufschwangen, zeigte sich vor den beiden eine leere Straße. Bald hatten sie die Stadt hinter sich gelassen, sagte sich Inanna, dann die Olivenbäume, die Beerensträucher entlang den Wassergräben. Und Nahrung würden sie draußen genug finden. Schließlich ... »Guten Morgen,
Muna«,
sagte eine Stimme. »Ich habe auf Euch gewartet.« Rhetis Eunuch lehnte an der Wand neben dem Tor. Er hielt einen kleinen, mit Troddeln besetzten Schirm über dem Kopf und biß in eine Melonenscheibe. Die Körner spuckte er ordentlich in seine Handfläche. »Ich muß Euch eine Nachricht von der Hohepriesterin überbringen«, verbeugte er sich und lächelte. »Na, das ist aber ein hübsches Kind. Ist es vielleicht das Eure?«
    Inanna zog Alna hinter sich. »Verschwinde von hier!« Sie trat einen Schritt vor. Der Eunuch senkte seinen Schirm wie einen Schild. Sie hieb nach dem Ding, und kam sich lächerlich vor.
    »Die Hohepriesterin sprach ...«
    »Ich will gar nicht wissen, was Rheti zu sagen hat.«
    »Erkläre der vormaligen
Joyta,
Inanna von Kur, daß ich ihr dazu gratuliere, Königin geworden zu sein, und

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