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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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wie schwerfällig der mächtige Pulal war! dachte sie verblüfft, wie lahm und untrainiert. All die Stunden, die sie auf dem Übungsplatz verbracht hatte, kamen ihr wieder in den Sinn. Sie fand Zeit, ihn kühl zu beobachten und nach seiner schwachen Stelle Ausschau zu halten. Pulal drehte sich um und griff zum dritten Mal an. Wieder schwang er die Axt, aber jetzt tauchte Inanna unter seinem Arm hinweg und schlug ihre Axt in seine Schulter. Pulal brüllte vor Schmerz und Überraschung, konnte sie aber mit der flachen Seite seiner Waffe an der Schläfe treffen. Der Hieb warf sie zurück. Sie stolperte und konnte sich gerade noch an einer Zeltstange festhalten.
    Blut sprudelte über Pulals linken Arm. Weiße und gelbe Unterhaut zeigte sich dort, wo ihre Axt in sein Fleisch gefahren war. Rasch und bevor er sich wieder aufgerichtet hatte, schlug Inanna erneut zu. Sie spürte, wie ihre Axt durch seine Knochen schnitt und fast den Arm vom Rumpf abgetrennt hätte. Das Krachen und Splittern war laut genug, ihr Übelkeit zu bereiten.
    Ein gurgelnder Schmerzensschrei, Pulal schwankte und ließ seine Waffe fallen. Verwundert starrte er auf seinen linken Arm, der nur noch an ein paar Fleischfäden am Körper hing. Wie von Sinnen riß er sich den Gürtel vom Leib und band ihn um die Wunde. Mit den Zähnen zog er die Riemen an und schien völlig vergessen zu haben, daß seine Feindin noch hier war. Inanna sah ihn an und konnte nicht zu einem weiteren Schlag ausholen. Pulals Treffer an ihrem Kopf machte sie schwindelig, und das Bewußtsein, ihm fast den Arm durchhauen zu haben, bereitete ihr Brechreiz. Sie mußte ihn töten. Sie mußte dieses widerwärtige Unterfangen zu Ende führen. Sie war eine schlechte Kämpferin. Wo war ihr Haß geblieben? Sie sah wieder auf Pulal und erkannte, wenn sie ihn jetzt nicht tötete, würde sie nie mehr den Mut dazu aufbringen. Müde und ohne Erregung hob Inanna die Axt.
    Pulal sah sie und wimmerte wie ein verwundeter Hund. Seine Augen waren voller Furcht. Er stolperte über die Feuerstelle, und die Finger seines gesunden Arms krallten sich in Inannas Gewand. Plötzlich knurrte er sie wie ein wildes Tier an und versuchte, ihr die Axt zu entwinden. Inanna stieß ihn mit aller Macht zurück. Dann hob sie die Axt und schlug so hart zu, wie es ihr möglich war. Die Schneide traf Pulal am Hals und trennte ihm den Kopf ab. Inanna starrte auf den toten Bruder vor ihr. Ein Triumphgefühl wuchs in ihr und wurde so stark, daß sie davon trunken wurde. Hinter ihr und vor ihr brüllten die Gefährtinnen ihre Schlacht-rufe, prallten Waffen aneinander, stöhnten und schrien Menschen. Inanna blieb keine Zeit, ihren Siegesrausch auszukosten. Sie wandte sich von dem Toten ab und rannte zu einer Gruppe von drei Zelten, wo sich im Augenblick das Kampfgeschehen abspielte. Die Zelte der Kur brannten lichterloh und füllten das Tal mit dickend Rauchwolken. Inanna war erst wenige Schritte gelaufen – immer noch im Hochgefühl ihres Sieges –, als sie sich plötzlich von einer Woge der Kälte und des Bösen eingehüllt fühlte. Sie wußte, daß Rheti auf sie lauerte, sie beobachtete und von Augenblick zu Augenblick ihre Macht mehr entfaltete. Wilde, finstere Freude strahlte von der Hohepriesterin aus, so als würde sie sich am Sieg Inannas über Pulal nähren. »Rheti!« rief Inanna. »Wo hast du dich versteckt?« Ihre Stimme hallte von den Talwänden wider. Und dann kam die Antwort. Hart und direkt traf sie Inanna mitten in den Rücken.
    Der Schmerz war so gewaltig, daß sie nichts mehr sehen konnte. Sie ließ ihre Waffen fallen, griff nach hinten, zerrte an dem Fremdkörper dort und begriff erst nach einer Weile, daß ein Speer sie in den Rücken getroffen hatte. Rheti, dachte sie, das war dein Werk. Aber es war nicht Rheti, sondern eine alte Frau, die vor einem brennenden Zelt stand und bereits mit einem zweiten Speer ausholte.
    »Enshagag!« ächzte Inanna verblüfft. Sie wankte auf ihre Stiefmutter zu. Enshagags Haar war angesengt. Und ihr Gesicht war unter dem Ruß kaum zu erkennen. Mit einem ärgerlichen Schrei schleuderte sie den Speer. Er streifte Inanna am Oberarm. Dann brach Pulals brennendes Zelt zusammen. Kippte einfach nach vorn um und begrub die Stiefmutter unter sich. Enshagag kam wieder hoch; als menschliche Fackel, die wild um sich schlug. Rauchschwaden. Der Gestank von brennendem Menschenfleisch. Sie rannte die Anhöhe hinunter. Angekohlte Fetzen ihres Gewandes flogen ihr hinterher. Das letzte, woran

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