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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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als erste im Lager zu sein. Sie studierte das Rund und prägte sich den Standort von Pulals Zelt besonders gut ein. Ganz gleich, was an diesem Morgen alles geschehen mochte, sie wollte auf jeden Fall eine bestimmte Rechnung begleichen. Inanna atmete tief ein, zurrte die Bänder ihres Brustpanzers gerade, nahm ihre Fackel und begann nach unten zu kriechen. Zwanzig Soldaten taten es ihr gleich. Tau lag auf dem hohen Gras. Die Schafe wurden unruhig, als die Fremden zwischen ihnen über den Boden krochen. Ein altes Muttertier hob den Kopf, um laut zu blöken, aber dann drehte es sich um und rannte lieber davon. Die Hufe klapperten über den steinigen Boden. Ein paar Eichen, dann ebener Grund. Jetzt hatte es keinen Sinn mehr, sich weiter heranzuschleichen. Alle sprangen hoch und begannen zu rennen. Für einen kurzen Augenblick war nichts anderes zu hören als das Stampfen ihrer Sandalen auf dem feuchten Boden. Vor Inannas Augen wurden die schwarzen Zelte immer größer. Die Lagerhunde bellten und sprangen wie verrückt herum. Aber das machte nun auch nichts mehr. Inanna und ihr kleiner Trupp waren zwischen den Zelten.
    Inanna stieß ihre Fackel in ein glimmendes Feuer, und als sie brannte, hielt die Königin sie an das erstbeste Zelt, das sie bei ihrem Lauf erreichte. Einen Moment lang geschah gar nichts, dann breiteten sich explosionsartig die Flammen auf der Wolle aus. Der Stoff zog sich zusammen und hing in brennenden Fetzen herunter. Schwarzer Rauch waberte in dicken Wolken zum Himmel. Im Zelt fing eine Frau an zu schreien. Ein halbnackter Mann stürmte heraus und schwang seine Axt. Inanna stieß ihm ihren Speer in den Hals. Rauch, Verwirrung, ein großer Hund, der heranlief und Inanna zur Begrüßung die Hand leckte, und der Mann aus dem Zelt, der blutend am Boden lag. Von oben hörte sie das Donnern der Trommeln.
    »Hierher!« rief sie den ihren zu. Sie stürmte zur Mitte des Lagers, rannte die Anhöhe hinauf und bemerkte bei einem kurzen Blick nach hinten, daß ihr sechs Gefährtinnen folgten. Der flammrote Baldachin bog sich in der aufkommenden Morgenbrise. Plötzlich standen rund um das Vordach Krieger. Pulals Leibwächter, alle mit Speeren in der Hand. Natürlich, bei der Stellung, die er jetzt innehatte, konnte er sich auch Leibwächter zulegen. Fünf bis an die Zähne bewaffnete Männer; nur einer darunter mit einem bekannten Gesicht. Die anderen waren Männer von anderen Stämmen, die man zur Ehrenbezeugung an den Oberhäuptling der Schwarzköpfigen, an den mächtigen Pulal, geschickt hatte. An Pulal, der noch im Zelt war. An Pulal, der diesen Tag nicht überleben würde. Mit einem Schlachtruf stürzte sich Inanna auf den ersten Wächter und bedrohte ihn mit ihrer Axt. Der Mann schlug zurück, traf Inanna am Brustpanzer und schleuderte sie damit zu Boden. Inannas Lungen brannten, und dumpfer Schmerz machte sich in ihrem Magen breit. Als sie aufsah, stürmte der Wächter schon auf sie zu und holte mit seiner Axt aus. Sie wußte, daß ihr keine Möglichkeit mehr blieb, ihm auszuweichen. Doch plötzlich drehte sich der Mann sonderbar verrenkt zur Seite und fiel auf sein Gesicht. Ein Speerschaft wuchs aus seinem Rücken, und die Axtschneide grub sich nur wenige Fingerbreit von ihrem Gesicht entfernt in den weichen Boden; so nah, daß Inanna die Schweißabdrücke der Finger des Mannes auf dem Griff erkennen konnte. Die Gefährtin, die ihr das Leben gerettet hatte, kämpfte bereits gegen einen anderen Wächter. Den Speer in der Linken, die Axt in der Rechten und keine Zeit mehr zum Nachdenken, Inanna stürmte geradewegs auf das Zelt zu. Jemand warf eine Fackel auf den Baldachin. Flammen leckten an den Stangen hinunter, Feuer fraß sich durch das Vordach.
    Und dann war Pulal da. Mit der Kupferaxt voran sprang er durch die Flammen am Zelteingang. Einen winzigen Augenblick lang, in dem alles stillzustehen schien, sah Inanna das Gesicht ihres Bruders im Feuerschein; ein grinsender Hyänenschädel. Pulal rannte direkt auf sie zu, aber kein Wiedererkennen war in seinem Blick. »Bruder!« brüllte sie. Jetzt wußte er, wen er vor sich hatte. Sein Gesicht lief rot an und schien zu schwellen. Hinter ihm stand bereits das ganze Zelt in Flammen und füllte die Luft mit Asche und Rauch. Pulal stieß seinen Kriegsschrei aus und griff an. Inanna trat rasch beiseite, und seine Axt krachte auf einen der Steine an
    der Feuerstelle. Mit einem Wutschrei griff Pulal erneut an. Wieder konnte sie zur Seite ausweichen.
    Große Göttin,

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