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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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die anderen Männer des Stammes zurück, trat allein einen Schritt vor und überquerte achtlos das Feuer. In einer entfernten Ecke des Zelts hockte Dug, zog sich das Gewand über den Kopf und begann mit einem langen und schrillen Klagelied. Ein unheimliches und unangenehm eindringliches Geräusch. Inanna kam sich vor, als wäre sie die Sehne zwischen den beiden auseinander-schnellenden Enden eines Bogens.
    »Hah!« brüllte Pulal und führte mit der Axt einen Scheinangriff. Enkimdu packte Inanna an der Schulter und stieß sie zur Seite, als die Waffe nur wenige Zentimeter von ihrem Kopf entfernt herniedersauste und ein Stück aus der Zeltstange hieb. Das Zelt wackelte, und verrückte Schatten tanzten über die Wände. Pulal umkreiste die beiden, drängte sie in eine Ecke und stieß mit der Fackel so grimmig zu, daß Inanna vor der Hitze zurückfuhr. Wenn Enkimdu auf sie keine Rücksicht mehr zu nehmen brauchte, hätte er vielleicht eine Chance, da er von den beiden Männern der stärkere und der flinkere war. Aber da er auch noch sie beschützen wollte ... »Hah!« brüllte Pulal wieder, hob die Axt und ließ sie in einen Haufen Körbe krachen, Nüsse und Käse purzelten über den Boden, und der Geruch saurer Milch erfüllte die Luft. Pulal drängte die beiden noch weiter zurück und packte Enkimdu wie einen Hirtenhund. Ein wahnwitziger, tödlicher Tanz. Als Pulal zum dritten Mal die Axt hob, sprang Enkimdu vor, unterlief ihn und schlitzte ihm den Oberarm auf. Ein Stich, dann ein zweiter. Blut sprudelte, und Pulal schrie vor Schmerz und Überraschung. Wild wirbelte seine Axt durch die Luft, als er nach links und nach rechts hieb. Splitter flogen von der Zeltstange, bis sie zusammenknickte. Körbe barsten entzwei, und das Zelt schwankte bedenklich, als die Axt ein breites Loch in seine Seite schnitt. Enkimdu tauchte weg und stieß dann erneut zu. Er traf Pulal an der Brust.
    »Zurück!« schrie Inanna Enkimdu an, aber diesmal war er nicht flink genug.
    »Hah!« schrie Pulal und führte die Axt ins Ziel. Während Inanna hilflos zusah, traf die Waffe Enkimdu an der rechten Schulter und schleuderte ihn von den Füßen. Das Knochenmesser flog ihm aus der Hand, landete im Dreck und hüpfte bis ins Feuer. Im Augenblick der Stille, der jetzt folgte, hörte Inanna nur das heftige Atmen der beiden Männer.
    Pulal trat einen Schritt zurück und starrte auf den Unbewaffneten vor sich. Enkimdus rechter Arm hing nutzlos herunter, aber er schützte noch immer Inannas Körper mit seinem eigenen. Unter dem Gewand bog sich sein Rückgrat wie eine zum Angriff bereite Schlange. Dann warf er sich ohne vorherige Warnung mit bloßer Hand auf Pulal. Die anderen Männer im Zelt gaben bewundernde Rufe von sich, aber Inanna hörte nur ihren eigenen Schrei. Sie wollte Enkimdu hinterher, wollte ihn am Gewand packen und zurückreißen, aber ihre Hände griffen ins Leere.
    »Hyäne!« Enkimdu schlug Pulal ins Gesicht und zerschmetterte dessen Grinsen. Dann traf die Axt Enkimdu an der Brust und warf ihn zurück.
    Er stürzte auf Inanna, was sie von den Beinen riß und die beiden gegen eine andere Zeltstange krachen ließ. Sie griff ihm unter die Arme und fürchtete schon, er sei tot.
    Aber Enkimdu war noch lange nicht am Ende. Er machte sich von ihr los und griff Pulal erneut an. Der Atem pfiff und rasselte in seiner Brust, und das Blut tränkte sein Gewand. Pulal machte einen Schritt zur Seite, als der Verwundete auf ihn zusprang. Einen kurzen Augenblick sah er mit grimmiger Genugtuung auf seinen Gegner. Dann hob Pulal die Axt, als wollte er eine Ziege schlachten, und hieb sie Enkimdu genau zwischen die Augen.
    Inanna fing den Körper auf, als er ein zweites Mal auf sie fiel. Sie mußte unbedingt die Blutung zum Stillstand bringen. Inanna griff sich eine Decke und preßte sie Enkimdu aufs Gesicht. Sie wandte den Blick ab von dem Loch im Kopf, in dem gezackt der gesplitterte Knochen seines Schädels zu erkennen war. Warmes Blut schoß aus dem Loch, durchtränkte ihr Gewand und drang bis auf ihre Haut durch. Enkimdus Lippen bewegten sich unter ihren Fingern, so als wollte er ihr noch etwas mitteilen, aber dann versteifte sich sein Körper, und sie wußte, daß das Leben ihn verlassen hatte.
    Tot. Das Wort spritzte in ihr Bewußtsein. Sie spürte den Kamm einer großen Woge der Betäubung, die auf sie zueilte. So war das also. So vollzog es sich. So hörte es auf. Sie hockte sich hin und betrachtete seinen Leib. Der einzige Mann, den sie je geliebt

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