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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Hursags Zelt. Und bis es Tag geworden ist, sind wir schon zu weit fort, als daß sie uns noch aufspüren könnten.« Enkimdu trat von einem Fuß auf den anderen und sah hinauf in den Himmel, so als wollte er die Zeit abschätzen. »Ich habe schon Nahrungsvorräte angelegt.« Sie nahm sein Gesicht in die Hände. »Bitte.«
    Aber er hielt ihren Plan dennoch für zu gefährlich. Lange Zeit standen sie im Schatten der Eichenbüsche und versuchten, sich auf ein Vorgehen zu einigen. Endlich, wenn auch noch widerstrebend, gab er ihr nach. »Wie könnte ich dir etwas abschlagen«, sagte er und berührte die kleine goldene Taube, die unter ihrem Gewand hing. Er nahm seinen Speer. »Ich warte dort«, er zeigte auf eine Stelle neben den Büschen, »bis du kommst. Aber laß mich hier nicht zu lange hocken.« Inanna hängte sich das Bündel Feuerholz wieder über. Als sie das Band um die Stirn legen wollte, packte er sie und küßte sie wild. Sie schob ihn mit den Handflächen zurück und lächelte ihn mit mehr Zuversicht an, als sie in Wirklichkeit hegte.
    »Ich bin zurück, bevor der Mond untergeht.«
    »Möge Lanla jeden deiner Schritte behüten.« Lange Zeit stand er auf der Anhöhe und folgte ihr mit seinen Blicken, bis sie den Zeltkreis erreichte. Dann schulterte er seinen Speer, packte das Knochenmesser an seinem Gürtel und bewegte sich vorsichtig in die kalten Schatten der Eichenbüsche.
     
    Als Inanna Hursags Zelt erreichte, wartete Pulal dort bereits mit einer Fackel in der Hand auf sie. Das Stück Holz prasselte und zischte gefährlich und sandte einen kleinen Funkenregen aus. Fünf andere Männer standen um ihren Bruder herum. Wie Inanna vermutet hatte, war der Suchtrupp für sie bereits zusammengestellt. Die meisten Männer betrachteten sie mit Neugierde, aber auch mit so etwas wie Ehrfurcht. Sie erkannte in ihnen Mitglieder von Familien wieder, die sie kürzlich erst mit ihrer Kräutertasche besucht hatte. Dort Lungenfieber, hier ein böser Schnitt in die Hand. Unter normalen Umständen hätte niemand von ihnen sein Abendbrot stehenlassen, bloß um eine verschwundene Frau suchen zu gehen, aber Inannas Heilungskünste hatten ihr im Stamm eine besonders wichtige Stellung verschafft. Selbst Pulal war das bewußt, und als er zu ihr sprach, schwang in seiner Stimme eher Besorgnis als Ärger mit.
    »Wo bist du gewesen?« Pulal hielt ihr die brennende Fackel so nah ans Gesicht, daß sie den Saft des Holzes riechen konnte. Seine Augen blickten mißtrauisch drein. Er betrachtete sie genauestens, so als sei sie eine besonders wertvolle Geiß, die einer unerwarteten Gefahr ausgesetzt worden war.
    »Ich mußte lange suchen, bis ich dieses Bündel hier zusammen hatte.« Inanna warf ihm den Sack mit dem Holz vor die Füße. »Und davon abgesehen, muß ich mich ja auch mal um die Aufstockung meiner Kräutervorräte kümmern.« Als die anderen Männer letzteres hörten, nickten sie und murmelten zustimmend. Einer von ihnen, ein frischgebackener Ehemann namens Ur, trat vor Inanna und räusperte sich nervös.
    »Meine Frau . . .« begann er. Seiner Frau saß ein Dorn im Fuß, und sie wäre beinahe daran gestorben, wenn Inanna ihr nicht im letzten Moment eine Paste aus wilden Äpfeln aufgetragen hätte, um die Infektion auszusaugen. Nun war die Frau noch geschwächt, aber auf dem Weg der Besserung.
    »Ich komme morgen früh und sehe nach ihr.« Inanna schob sich an Ur vorbei und betrat Hursags Zelt. Noch kaum drinnen fiel ihr ein, daß sie am nächsten Morgen schon weit fort sein würde. Sie griff in die Ledertasche an ihrer Hüfte, holte eine Handvoll gelber Ampferblüten heraus und ging wieder nach draußen.
    »Gib das deiner Frau«, erklärte sie Ur freundlich, »und sorge dafür, daß sie in den nächsten Tagen viel Ruhe hat.« Ur nahm die Blüten in seine riesige, bärentatzenhafte Hand und lächelte Inanna erfreut und erleichtert an.
    »Vielen Dank, Weib des Hursag.«
    Im Zelt beugte sich Dug gerade über das Feuer und schürte es mit einem verkohlten Stock. Der hochwirbelnde Rauch ließ sie husten, und Inanna wurde augenblicklich klar, daß dieser Abend nicht zu den angenehmen zählen würde. »Andere Frauen finden Feuerholz nicht weit vom Lagerrand«, sagte Dug übellaunig und schob sich eine fettige Strähne aus der Stirn, »warum ist das bei dir nicht möglich?« Sie schürte weiter das Feuer, löste ganze Wolken von Asche aus, warf den Stock hin und verschwand grummelnd nach draußen, um das Feuerholz hereinzuholen.

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