Korona
je.«
37
A my und ihre vier Schiffbrüchigen waren seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen. Alle litten Durst. Während Mellie, Dan und Karl ihr Glück im Osten versuchten, waren Amy und Ray nach Norden gegangen. Den Süden hatten sie bereits ausgiebig erkundet, und im Westen erschwerte eine steil aufragende Felswand das Weiterkommen. Diese Option blieb ihnen immer noch, falls alle anderen Versuche scheiterten.
Amy hatte eine steile Böschung erklommen und wartete auf Ray, der schnaufend und keuchend hinter ihr hertrabte. Der Ire hatte zwar eine gute Kondition, aber verglichen mit ihr schnaufte er wie eine Dampflok.
Oben angelangt, reichte sie ihm ihre Hand und zog ihn zu sich herauf. »Meine Güte«, flüsterte sie. »Du machst einen Lärm, dass man uns auf einen halben Kilometer hören kann.«
»Was soll ich machen?«, keuchte er. »Ich bin nicht so zierlich gebaut wie du. Ich muss eine größere Masse bewegen. Dabei entsteht eben Lärm.«
»Als ob das eine Frage des Gewichts wäre.«
»Ist es. Mehr Masse, mehr Gewicht, ergo eine größere Belastung für den Kreislauf. Ein einfaches Naturgesetz.« Er wischte mit dem Ärmel über seine Stirn.
»Wir hatten mal vor drei Jahren eine Frau im Team«, erzählte Amy, »die wog gut und gern hundert Kilo. Sie war fast einen Kopf größer als ich und doppelt so breit. Trotzdem schaffte sie es, so leise und anmutig durch den Wald zu gehen, dass selbst Richard vor Neid erblasste.«
»Eine hundert Kilo schwere Primaballerina. Interessante Vorstellung.«
»Du wärst erstaunt gewesen. Nur leider hat das Ganze einen Nachteil. Etwas, mit dem niemand gerechnet hatte.«
Er hielt den Kopf schief.
»Die Gorillas mögen es nicht, wenn man sich anschleicht. Sie sind da äußerst empfindlich. Oberstes Gesetz im Bergwald: Überrasche nie einen Gorilla.«
Auf Rays Gesicht erschien der Anflug eines Lächelns. »Was ist passiert?«
»Der Silberrücken machte ihr klar, dass sie gegen die guten Sitten verstoßen hatte, und führte einen Scheinangriff aus. Die gute Frau tat das Falscheste, was man tun konnte.«
»Sie rannte davon.«
»Genau.«
»Immer noch anmutig wie eine Primaballerina?«
Jetzt musste Amy ebenfalls lächeln. »Die Schneise, die die beiden hinterließen, ist bis heute nicht zugewachsen. Die Frau packte noch am selben Tag ihre Taschen und reiste ab.«
Ray lachte. »Na, dann werden mich deine Affen lieben. Ich war noch nie ein guter Tänzer.«
Amy fiel auf, dass sie Ray noch nie hatte lachen hören. Es war ein tiefes, kehliges Lachen, aber irgendwie ansteckend. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie sich ja vorgenommen hatte, sauer auf ihn zu sein.
Warum hatte sie ihm die Geschichte überhaupt erzählt?
Verwirrt strich sie eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht.
»Gehen wir weiter?«, fragte sie, nun wieder ernst.
»Welche Richtung?«
Sie deutete nach links. »Da drüben scheint der Wald heller zu werden. Was meinst du?«
»Du bist der Boss.«
Ihr Weg führte sie ein Stück bergab zu einer flachen Senke. Sofort waren die kleinen schwarzen Moskitos wieder zurück. Amy wurde von ihnen in Ruhe gelassen, dafür gingen sie umso mehr auf Ray los. Er wirkte wie Pu der Bär, der von den Bienen beim Honigdiebstahl erwischt wird. Wild mit den Händen herumfuchtelnd, machte er die Tiere nur noch aggressiver. »Verdammte Mistviecher«, fluchte er. »Wovon ernähren die sich bloß, wenn nicht zufällig irgendwelche menschlichen Wesen vorbeikommen?« Er schlug an seinen Hals. Drei schwarze Leichen klebten in seiner Hand.
»Du musst versuchen, deinen Puls zu senken«, erwiderte Amy. »Du schwitzt einfach zu viel. Mücken lieben Salz.«
»Wohl eher Blut«, erwiderte er, während er ein paar mehr von den Biestern in den Mückenhimmel schickte.
Auch Amy klatschte jetzt auf ihren Arm. Mit spitzen Fingern nahm sie die Mückenleiche hoch und hielt sie gegen das Licht. Sie war nicht schwarz, sondern von einem tiefen, irisierenden Blau. Außerdem hatte sie drei Flügelpaare statt einem. Angewidert schnippte sie den Blutsauger weg.
»Was hältst du von der Geschichte, die Karl uns gestern aufgetischt hat?«, fragte sie. »Glaubst du, da ist irgendetwas dran?«
»Die Sache mit der Flaschenpost? Ziemlich abgedreht, würde ich sagen. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, ob die Idee genial oder einfach nur bescheuert ist.«
»Geht mir genauso.«
Er zögerte. »Es gibt allerdings eine Sache, die mir keine Ruhe lässt.«
Sie neigte den Kopf. »Jetzt bin ich aber
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