Korrupt (German Edition)
würden.
«Der Herbst», sagte Leif Gustafsson, als hätte er Max’ Gedanken gelesen, «ist ein geschickter Taschendieb: Er greift dir in den Mantel und nimmt sich, was er haben will.»
Sie gingen eine Treppe hoch. Leif Gustafsson nickte einem Kollegen zu. Die Räume hatten niedrige Decken, die Wände waren weiß, und der Fußboden hatte dieselbe Farbe wie der Rasen an einem Herbstnachmittag nach einem Spiel von Liverpool und den sturen Böcken von Millwall. Max fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.
«Dann wollen wir mal», sagte Leif Gustafsson und lehnte sich mit einem Notizblock in der Hand auf seinem knarrenden Schreibtischstuhl zurück. «Ich habe eben mit Jan Wikholm gesprochen, dem Chef Ihrer Frau. Ich vermute, Sie sind im Bilde?»
Max nickte. «Er hat erwähnt, dass er sich mit Ihnen in Verbindung setzen wollte.»
«Gut. Er hat mir erläutert, woran Annie gerade arbeitet. Wir werden die Personen überprüfen, mit denen sie Kontakt hatte, und fragen, ob sie nach dem bislang letzten uns bekannten Telefonat mit ihr gesprochen haben. Zuletzt hat sie jemanden im Präsidium angerufen, aber davon wissen Sie vermutlich auch?»
Max nickte erneut.
«Ich werde Ihnen jetzt ein paar Routinefragen stellen, die bei Vermisstenanzeigen üblich sind. Vielleicht tauchen später noch andere Fragen auf, je nachdem was wir in Erfahrung bringen. Aber erst einmal ist Folgendes wichtig: Der Kollege, mit dem Sie gestern gesprochen haben, bat Sie, Pass, Bankkonten und Kleidung zu überprüfen. Haben Sie das getan?»
«Alles ist da. Der Pass liegt in der Kommode. Unser Geld ist noch auf der Bank, sie hat nichts abgehoben.»
«Und die Kleider?»
Max zuckte mit den Schultern. «Soweit ich sehen konnte, ist alles da. Ich habe keinen sehr guten Überblick, aber die Sachen, die sie besonders mag, erkenne ich, und die sind alle da.»
«Okay.» Leif Gustafsson nickte und machte eine Notiz. «Dann haben wir das geklärt.» Er suchte nach den passenden Worten. «War Ihre Frau in letzter Zeit unglücklich? Oder gab es Anzeichen dafür, dass sie vielleicht nicht mehr weiterleben wollte?»
Max schüttelte den Kopf. Was sollte diese Frage? «Wir erwarten ein Kind. Ich glaube also, dass sie glücklich ist. Meinen Sie, ob sie deprimiert wirkte?»
«Beispielsweise. Oder ob sie früher an einer psychischen Krankheit gelitten hat.»
«Nein, damit hatte sie keine Probleme.»
«Und in ihrer Familie?»
Er schluckte. «Ihre Mutter hat sich das Leben genommen.»
«Das ist tragisch. Wie lange ist das her?»
«Annie war noch klein. Erst drei.»
«Aber es deutet nichts darauf hin, dass Ihre Frau ebenfalls so etwas planen könnte?»
Max starrte schweigend zu Boden.
«Es tut mir leid, dass ich Sie das fragen muss, Max, aber ich muss alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, um nichts dem Zufall zu überlassen.»
«Ich verstehe», antwortete er und schaute hoch. «Nein, dafür gab es keine Anzeichen.» Bilder schossen ihm durch den Kopf. Annie in einer Hotelbadewanne mit rotem Wasser. Annie von einer Decke baumelnd. Annie reglos und umgeben von bunten Pillen. Er schüttelte den Kopf, um diese Bilder zu vertreiben. Er mochte Leif Gustafsson immer weniger. Noch ein paar Fragen, und er würde ihn hassen.
«Leider muss ich noch eine unangenehme Frage stellen. Gab es Probleme in Ihrer Beziehung? Eine Affäre beispielsweise?»
Er hasste Leif Gustafsson. «Wir haben gestritten, aber das hielt sich alles in Grenzen. Wir erwarten ein Kind, wir arbeiten beide viel. Das stellt schon eine große Belastung dar. Aber das ist auch alles.»
«Keiner von Ihnen war also untreu und ist dabei ertappt worden. Habe ich Sie richtig verstanden?»
Max dachte an Leif Gustafssons Dienstwaffe und daran, was er damit tun könnte. Er würde nicht einmal damit schießen müssen. Er würde mit dem Griff zuschlagen. Bis er endlich schwieg.
«Max?»
«Entschuldigung?» Er rieb sich die Stirn. «Nein, ich war Annie nicht untreu, und sie hat mich auch nicht betrogen, soweit ich weiß.»
Gustafsson nickte und machte einen Vermerk. «Entschuldigen Sie diese Frage, aber das gehört dazu.» Er lächelte und klappte den Block zu und steckte den Bleistift in seine Brusttasche. Er beugte sich vor und betrachtete Max mit zusammengekniffenen eisblauen Augen, die jetzt so schmal waren wie seine gezupften Brauen, die seine Kollegen so belustigten.
«Ich verstehe, dass Sie sich Sorgen machen, Max. Aber das wird sich klären. Jedes Jahr verschwinden allein in Stockholm tausend
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