Korrupt (German Edition)
sei in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Annie Lander sei ganz einfach wie vom Erdboden verschluckt. Er selbst sei von ihrem Mann am Vorabend angerufen worden, und man habe sich mit der Polizei darauf geeinigt, in der heutigen Ausgabe eine Aufforderung an sie zu veröffentlichen, in der Hoffnung, dass sie sich meldete. Gleichzeitig wende man sich mit der Bitte um sachdienliche Hinweise an die Öffentlichkeit. Im Augenblick sei man vollkommen ratlos, meinte Jan Wikholm. Die Polizei sei auf Hilfe angewiesen. Auch von Annies Kollegen. Er schloss mit der Bemerkung, dass Carl von Konow, der sich in dieser Sache sehr engagiere, und er Annies Mann Max am Vormittag in der Redaktion erwarteten. «Also», rief Wikholm, «an die Arbeit, und wer Informationen über Annie hat, kommt damit zu mir.» Seine Stimme klang wenig überzeugend, und alle, die länger als eine Woche bei der Zeitung arbeiteten, wussten, was das zu bedeuten hatte.
Einige weinten, andere unterhielten sich noch über Cats Falck, die Fernsehjournalistin von Rapport, die einige Jahre zuvor verschwunden und zusammen mit ihrer Freundin in einem Auto auf dem Grund des Hammarbykanals gefunden worden war. Viele waren überzeugt davon, dass es sich um Mord handelte. Falck hatte an einer Reportage über die Beteiligung schwedischer Unternehmen an illegalen Exporten in die Sowjetunion gearbeitet. Auch Regierungskreise einschließlich Ministerpräsident Olof Palme waren angeblich involviert gewesen. Man erzählte sich jedenfalls, sie sei an einer großen Sache dran gewesen. Falls es sich um Mord handelte, befand sich der Täter immer noch auf freiem Fuß. Cats war tot. Palme war tot. «Was ist bloß mit Schweden los», fragte eine junge Frau, «wenn man befürchten muss, dass eine verschwundene Journalistin ermordet wurde, nur weil sie etwas Unbequemes geschrieben hat?»
Zwei Stunden später durchquerte Max die Redaktion, als sei er auf dem Weg zum Schafott. Die Blicke aller folgten ihm. Es waren die gleichen Blicke wie am Vorabend im Wohnzimmer. Blicke, die sagten: Wir wollen dich nicht begleiten, denn du bist auf dem Weg in die Hölle.
Die Polizei hatte ihm am Morgen des Vortages eine Reihe Fragen gestellt, die vorläufig unbeantwortet geblieben waren. Fragen nach Bewegungen auf Annies Bankkonto. Über ihren Pass. Darüber, wer sie als Letzter gesehen haben könnte. Max hatte eine Vermisstenanzeige aufgegeben, um danach in der Absicht, die gewünschten Angaben nachzureichen, ihren Arbeitsplatz und ihre Bank aufzusuchen.
Also hatte er Jan Wikholm angerufen und erzählt, Annie sei verschwunden. Wikholm hatte versprochen, die Meldung am Montag zu bringen.
Nun gingen sie durch einen schmalen Gang in das nächste von schicksalhaftem Schweigen erfüllte Großraumbüro. In einer Ecke stand ein kleiner Fernseher ohne Ton. Ein Foto von Christer Pettersson war auf dem Bildschirm zu sehen. Max war in der Nacht des Palme-Mordes in der Bar aufgetreten. Kurz nach Feierabend hatte Farao, ein Amphetamin-Junkie und der Bruder von C., totenbleich angeklopft und C. gebeten, das Radio einzuschalten. «Es ist vorbei», hatte er gesagt. «Niemand kann uns jetzt noch retten.» Als das Radio lief, wurde ihnen klar, was er meinte. Die Sondersendung wurde höchstens von heftigem Einatmen unterbrochen. Man hätte glauben können, ein Bürgerkrieg sei ausgebrochen oder ein Putsch habe stattgefunden, der sie dazu zwingen würde, sich in Verstecken zu treffen, nachts durch die Schatten zu schleichen und ständig das laute Klopfen einer Macht zu fürchten, die zwar viele kannten, ihnen aber noch unbekannt war. Jemand sagte: «Schließ die Tür ab, verdammt noch mal.» C. schloss ab. Später hieß es gerüchteweise, in den Nachtclubs am Stureplan sei gejubelt worden, als die Diskjockeys Palmes Tod bekannt gaben, was er jedoch nicht recht glauben konnte. Annie erzählte später, dass es wirklich so gewesen sei. Sie sei selbst dort gewesen, und niemand habe ihre Tränen in der Dunkelheit gesehen.
Max und Jan Wikholm betraten einen Besprechungsraum, in dem sie ein Mann mit einer Kaffeetasse in der Hand erwartete. Hinter ihm stand ein Whiteboard, und mehrere benutzte Tassen verrieten, dass er eben noch Gesellschaft gehabt hatte. Er war zwischen fünfzig und sechzig, sah durchtrainiert aus, musste sich aber auf einem Stock abstützen, als er sich erhob, um Max zu begrüßen. Sein Haar war schütter, und unter seinen Augen hingen dicke Tränensäcke. Er lächelte ein aufgesetztes Lächeln. Sein
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