Korrupt (German Edition)
Geduld.
«Heute war es ganz schön hart, Munk», meinte Leif Gustafsson und strich sich das nasse Haar aus der Stirn. «Ich bin wirklich nicht mehr der Jüngste.»
«Ach was», lachte Munkenberg und freute sich, einen Spitznamen erhalten zu haben. «Hattest du einen guten Tag?», wollte er wissen.
«Ich kann nicht klagen», antwortete Gustafsson und rückte sein Handtuch zurecht. «Und du?»
«Eine festgefahrene Ermittlung. Mit jedem Schritt nach vorn machen wir zwei zurück.»
«Und worum geht es?»
«Ein Mann wurde auf der Tanzfläche eines Lokals hier in Kungsholmen fast totgeschlagen. Er hat so viele Tritte kassiert, dass er in einer Blutlache lag, als die anderen Gäste die Tanzfläche verließen. Keiner hat angeblich etwas gesehen. Keiner der Türsteher hat jemanden das Lokal verlassen sehen. Es wird sicher einen Monat dauern, bis das Opfer vernehmungsfähig ist, und ich wette einen Monatslohn, dass er sich an genauso wenig erinnern wird wie alle anderen.»
«Schlimme Zeiten», meinte Gustafsson. «Viele Dinge können einen Menschen vergessen lassen.»
«Und du, Gustafsson», nahm Munkenberg den Faden wieder auf, weil er nicht wollte, dass die Unterhaltung ins Stocken geriet. «Der Typ, den du heute vorgeladen hast, hatte der auch Probleme mit dem Gedächtnis?»
«Wen meinst du denn?», fragte Gustafsson und wandte ihm sein gerötetes Gesicht zu.
«Der Mann auf der Treppe.»
«Ach der», erwiderte Gustafsson und zog die Brauen hoch. «Der wirkte ganz okay. Seine Frau ist verschwunden, und ich verstehe, dass er sich Sorgen macht. Würde ich auch, wenn ich eine Frau hätte, die Reporterin ist und plötzlich eines Abends nicht nach Hause kommt.»
«Könnte er auch selbst daran beteiligt sein?»
Gustafsson schüttelte den Kopf und ließ das Kinn auf die Brust sinken. «Dazu ist er nicht der Typ. Also, wenn ich jetzt raten müsste, rein intuitiv, würde ich sagen, dass sie ihn verlassen hat und dass er unter Schock steht und es einfach nicht wahrhaben will. Vielleicht hat sie sich ins Ausland abgesetzt oder im Wald das Leben genommen. Schwanger war sie auch. Offenbar gab es schon früher Selbstmorde in der Familie.»
«Ach?»
Gustafsson nickte. «Die Mutter. Da war die Tochter noch klein.»
«Hast du Journalistin gesagt?»
«Polizeireporterin. Drüben im Hochhaus.»
Munkenberg nickte nachdenklich und betrachtete die rissige Holzvertäfelung in der Ecke. Daran sind diese Ofenpinkler schuld, dachte er.
«Offenbar war sie an einer brisanten Sache dran», fuhr Leif Gustafsson fort. «Wir haben auch mit dem Ressortleiter und dem Chef gesprochen. Die waren erschüttert.»
«Warum?»
«Weil sie verschwunden ist natürlich, aber auch, weil ihre Arbeit mit ihrem Verschwinden zu tun haben könnte.»
«Woran hat sie denn gearbeitet?»
«An einer Story über irgendwelche hohen Tiere, die Prostituierte missbrauchen. Offenbar hat sie in einem Artikel lose Behauptungen aufgestellt und wurde daraufhin beurlaubt. Seither ist sie verschwunden. Vielleicht war sie einfach so deprimiert, dass sie sich das Leben genommen hat, oder sie ist einfach untergetaucht.»
Ein Mann, den Munkenberg vom Sehen kannte, setzte sich auf die unterste Pritsche, und Munkenberg rückte näher an Gustafsson heran. «Aber ist es überhaupt wahrscheinlich, dass sie sich das Leben genommen hat, wenn sie wirklich schwanger ist?»
«Ich sage ja gar nicht, dass sie sich das Leben genommen hat, sondern nur, dass sie es getan haben könnte. Wahrscheinlicher ist, dass sie ihren Mann verlassen hat und sich jetzt bei einer Freundin die Augen aus dem Kopf weint.»
Munkenberg schüttelte den Kopf. «Ich habe so was im Gefühl, Gustafsson, und mein Gefühl sagt mir, dass da irgendetwas nicht stimmt.»
Gustafsson runzelte die Stirn. Es war nicht seine Art, immer gleich das Schlimmste von den Menschen zu denken. «Du meinst, ihr Mann hat sie in den Wald geschleift und sie dort kaltgemacht? Und jetzt will er uns weismachen, dass ein anderer sie auf dem Gewissen hat, weil sie an einer Story dran war, die für manche unbequem werden könnte?»
Munkenberg rieb sich das Kinn. «So was ist schon vorgekommen.»
«Dann wollen wir mal hoffen, dass du dich irrst», meinte Gustafsson und erhob sich. «Und dass es sich nur um einen armen Teufel handelt, den die Frau verlassen hat, und sonst nichts weiter.»
Leif Gustafsson mochte Munkenberg nicht sonderlich. Er hatte gehört, dass er keinen Alkohol vertrug und bei der Weihnachtsfeier der einen oder anderen
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