Korsar und Kavalier
heraus hatte sein Vater noch die Macht, ihn zu schikanieren. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte Tristan, sich auf Christian zu konzentrieren. Auf die Hoffnung. Die Gedanken wirbelten durch seinen Kopf, während Tristan langsam, aber stetig die Flasche leerte. Stunden verstrichen. Die Sonne würde über dem Horizont auftauchen, bevor er sich so weit beruhigt hätte, dass er zu Bett gehen konnte. Doch ein Bild hielt sich auch dann noch hinter seinen alkoholschweren Lidern: der Anblick seiner Nachbarin, wie sie tief vor ihm knickste und ihm ihr Dekollete zu seiner adeligen Begutachtung hinhielt.
Vielleicht wäre es doch nicht so schlimm, Earl zu sein, dachte er, bevor er in tiefen Schlaf sank ...
5. KAPITEL
Ein guter Butler oder Kammerherr mischt sich niemals in die persönlichen Belange seines Dienstherrn ein, es sei denn, seine Anstrengungen könnten das Leben seines Dienstherrn um ein Beträchtliches verbessern. Dieser Gedanke kann manchmal eine ziemlich gewaltige Einmischung rechtfertigen.
Leitfaden für den vollkommenen Butler und Kammerherrn von Richard Robert Reeves
„Sie, Sir, holen sofort Ihre Schafe aus meinem Garten“, forderte Prudence. Ihre Stimme zitterte, als wäre ihr kalt. Sie fand das merkwürdig, gleichzeitig zu frieren und zu träumen.
Der Captain drehte sich um. Anscheinend war ihm nicht bewusst, dass er nur ein Traumgebilde aus Prudences Schlummer war. Wie neulich stand er auf dem Kliff. Der Wind fuhr unter seinen Mantel und offenbarte das dünne weiße Hemd, das am Hals offen stand und seine breite Brust betonte und die schwarzen Breeches, die sich an seine muskulösen Beine schmiegten.
Prudence musste um Atem ringen. Das war der beste Traum, den sie je gehabt hatte. Das offene Hemd war schon skandalös genug, aber der enge Schnitt seiner Breeches war wirklich beunruhigend. Überaus beunruhigend. So beunruhigend, dass ...
Plötzlich stand er vor ihr, und seine Hände lagen warm auf ihren Schultern. Er sah ihr tief in die Augen. „Ich will alles tun, was du möchtest, meine Süße. Solange du mir einen Kuss gewährst.“
„Einen Kuss? Aber ich kann doch nicht ..." Nun ja, vermutlich konnte sie schon. Im Traum waren Dinge erlaubt, an die man im wirklichen Leben nicht einmal denken durfte. „Also schön. Einen Kuss. Aber nur einen, also Er schloss sie in die Arme, bog ihren Oberkörper nach hinten und bedeckte ihre Lippen mit den seinen. Selbst im Traum war er ungeduldig, maskulin, drängend. Prudence erschauerte und zitterte, und dann stöhnte sie, weil ihr unter seinen Berührungen so heiß wurde, weil sich seine Lippen so warm anfühlten, weil seine Zunge gierig in ihren Mund eindrang ...
Wie konnte ein einfacher Traum derartige Gefühle in ihr wecken? Wie konnte sie seine Haut spüren, den Duft seiner frisch gewaschenen Wäsche riechen, das Salz auf seinen Lippen schmecken? Wie konnte sie ...
Ein hartes Klopfen riss sie aus ihren wirren Träumen. Prudence kniff die Augen noch fester zusammen und zog sich das Kissen über den Kopf. Verzweifelt hielt sie am Bild des Captains fest, wie sich sein attraktives Gesicht über sie beugte, sein Mund nur noch wenige Zoll von dem ihren entfernt ...
Wieder klopfte es fordernd, doch diesmal ging die Tür auf, und Mrs. Fieldings sagte auf ihre übliche ausdruckslose Art: „Aufstehen, Madam. Der Hahn hat gekräht.“
Prudence stöhnte, während sich das Bildnis des Captains in Luft auflöste. Sie rollte sich auf den Bauch und zog das Kissen noch fester an sich heran.
Mrs. Fieldings riss die Vorhänge auf. Das Sonnenlicht strömte in den Raum.
„Ich wollte, Sie ließen das bleiben“, erklärte Prudence und zog sich die Decke über den Kopf. Die Luft war morgendlich frisch und kühl.
In aller Seelenruhe griff Mrs. Fieldings nach der Decke. „Morgenstund hat Gold im Mund.“
Prudence hasste diese moralisierenden Sprüche, vor allem vor dem Frühstück. Sie öffnete die Augen zu kleinen Schlitzen. „Ja, schon, aber ohne ausreichend Schlaf wird selbst ein, ähm, Fisch grantig.“
Das hatte gesessen. Vielleicht nicht ganz so gut wie Mrs. Fieldings markige Bemerkung, aber ihr reichte es aus.
Die Haushälterin schnaubte. „Das haben Sie doch gerade erfunden.“
„Natürlich nicht“, erklärte Prudence so hochmütig, wie es ihr nur möglich war. Sie versteckte sich immer noch unter der Decke. „Ich habe es, äh, von den Männern des Captains.“
„Diese Nichtsnutze. Zeit zum Aufstehen, junge Dame. Der frühe Vogel fängt den
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