Korsar und Kavalier
manche kommen, andere gehen.“ Stevens’Miene verdüsterte sich. „Es ist schwer für einen Seemann, irgendwo länger vor Anker zu gehen. In uns steckt eine Rastlosigkeit, die uns schwer auf der Seele liegt.“
„Dann ist dies hier ein ziemlich großes Unternehmen.“ „Sie wissen ja noch nicht mal die Hälfte. Der Käpt’n gibt uns zu essen und kleidet uns, wissen Sie. Aber er schenkt uns das alles nicht für umsonst, und das ist auch gut so, man hat schließlich seinen Stolz. Die Männer arbeiten, wann immer es irgendetwas zu tun gibt.“
Der Captain offenbarte Seiten, die sie nicht an ihm vermutet hätte. Auf den zweiten Blick war mehr an ihm dran, als sie erwartet hätte. Sehr viel mehr. „Das ist ja sehr großzügig von ihm.“
„Allerdings.“ Der Erste Offizier kratzte sich am Kinn und wies dann auf den Flur. „Hier entlang, wenn Sie mit dem Käpt’n reden möchten.“
„Ja, bitte.“ Allmählich erkannte sie, dass hinter der rauen, grimmigen Fassade des Captains doch ein Herz stecken musste. Natürlich war es möglich, dass er die Männer für irgendeinen dunklen Zweck einzusetzen gedachte ... aber sie konnte sich nicht vorstellen, für welchen.
Stevens wischte sich die Nase am Ärmel ab. „Dann kommen Sie mal, Madam. Der Captain ist gerade spazieren, aber Sie können in seinem Quartier auf ihn warten.“
„Danke“, sagte sie und folgte dem Mann den Gang hinunter.
Er ging zur letzten Tür, riss sie auf und trat dann beiseite. „Rein mit Ihnen!“
Das fahlgraue Licht blendete sie fast, als sie den Raum betrat. An einer Wand zogen sich Terrassentüren hin. Der silbergraue Himmel draußen wurde von dunkelgrünen Vorhängen eingerahmt. Das Licht, wenn auch spärlich vorhanden, strömte ins Zimmer. „Viel besser“, lobte sie. „Dieser Raum ist viel heller.“
„Aye. Als würde man an Deck eines Schiffes treten, nicht?“ Stevens deutete zu dem großen Ohrensessel, von dem aus man Ausblick auf eine kleine Terrasse und die Klippen dahinter hatte. Ein Buch und ein Pfeifenständer erzählten ihre eigene Geschichte. „Der Käpt’n sitzt gern bei Sonnenuntergang hier drin. Ich glaube ja, dass er dann so tut, als würde er noch zur See fahren.“ In Stevens’ Stimme hatte sich ein sehnsüchtiger Ton geschlichen. „Ich vermisse die alten Zeiten.“
„Er tut so?“ Prudence konnte sich nicht vorstellen, dass der Captain zu derartigen Als-ob-Spielen neigte.
Ein Schatten zog über Stevens’ Gesicht, und seine blauen Augen verdunkelten sich. „Manchmal bleibt uns sonst nichts, Madam. Wir können nur so tun als ob.“
Prudence dachte daran, wie sehr sie Phillip vermisste und wie sie sich damals, direkt nach seinem Tod, kurzfristig vorgegaukelten hatte, er sei noch am Leben, sei nur kurz verreist. Dass er zurückkehren würde. Natürlich kam er nicht zurück, und manchmal machten diese Selbsttäuschungen sie nur noch trauriger.
Sie dachte an den Captain und an sein Hinken. „Wird der Captain je wieder zur See fahren können?“
„Nein, Madam. Wegen seinem Bein. Er findet an Deck keinen Halt mehr. Manche Kapitäne würden trotzdem weitermachen, würden sich an den Mast binden. Aber der Käpt’n sagt, wenn der Befehlshaber körperlich nicht auf der Höhe ist, versagt er sehr viel öfter. Schon aus Sorge um seine Leute will er nicht zu diesen Versagern gehören. Er denkt eben immer an seine Männer.“
„Verstehe. Wo steckt er denn?“
„Wahrscheinlich in der Scheune.“ Auf Stevens’ Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. „Wir haben nämlich Besuch. Der Käpt’n hat ihn in der Scheune untergebracht. Ich schau mal, ob ich ihn finde. Vielleicht sollten Sie derweil hier vor Anker gehen.“
Prudence nickte. Der Mann sah sich ein letztes Mal im Zimmer um, als rechne er damit, dass der Captain jeden Augenblick auftauchen könnte, und ging.
Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, sah Prudence sich im Zimmer um. An den Wänden hingen große Gemälde, auf denen Schiffe auf rauer See zu sehen waren. Sie ging von Bild zu Bild und betrachtete die Blau-, Grün-und salzigen Grautöne der Meeresdünung.
Nachdenklich verlangsamte sie ihren Schritt und entdeckte auf einem Tisch voll interessanter Objekte ein Messinginstrument. Sie streifte ihre Handschuhe ab, legte sie zusammen mit ihrem Mantel über einen Stuhlrücken und nahm das Instrument auf. Es fühlte sich kühl an.
Sie wusste wirklich kaum etwas über den Captain, nur dass er ein Schaf besaß, das über Zäune klettern
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