Korsar und Kavalier
zerschlissenem blauen Rock.
Anscheinend hatte Stevens es auch gesehen, denn er rief der wilden Jagd nach: „Tut dem armen Vieh bloß nichts an! Es gehört dem Käpt’n, vielleicht will er es ja zu Michaeli servieren!“ Er schloss die Tür. „Das war ein Glücksfall, dass Sie das Schaf gebracht haben. Vielen Dank!“
Prudence hielt inne. „Wofür bedanken Sie sich eigentlich bei mir?“
„Na, das wird die Männer für die nächsten Stunden auf Trab halten! Sie meckern und murren doch andauernd, weil es hier nichts zu tun gibt. Jetzt können sie hinter dem Schaf herrennen, bis ihnen die Nase aus dem Gesicht fällt.“ Wunderbar. Sie hatte das verflixte Schaf den ganzen Weg von ihrem Haus hergezerrt, und Stevens freute sich darüber! Zum Kuckuck! Jetzt konnte sie nur noch hoffen, dass der Captain die Sache aus einem weniger günstigen Blickwinkel betrachtete. „Was meinen Sie, werden die Männer das Schaf fangen?“
„Diese Trantüten? Herr im Himmel, Madam! Natürlich kriegen die das Schaf nicht! Die würden ja nicht mal ein Riff an helllichtem Tag finden, selbst wenn sie einen Stock hätten. Natürlich will ich damit nicht sagen, dass es keine guten Kerle wären, das sind sie schon. Man muss ihnen eben sagen, wo es langgeht. Und ohne mich oder den Käpt’n, na ja ... vermutlich werden wir sie die nächsten Stunden nicht zu Gesicht bekommen. Wenn’s reicht.“
„Hoffentlich tun sie dem armen Schaf nichts, obwohl es kräftiger ist, als es aussieht.“
„Ein Wunder, dass Sie das Vieh überhaupt hergebracht haben.“ Er drehte sich um und ging den schmalen Korridor hinunter. „Kommen Sie mit, Madam. Ich bringe Sie zum Käpt’n.“
Prudence hielt inne. Sollte sie wirklich mitgehen? Wenn ja, was sollte sie sagen? Ohne das Schaf war ihre Mission ... verloren. Wenn sie nur über ein bisschen Vernunft verfügte, würde sie sich umdrehen und gehen.
Sie blinzelte Stevens nach und betrachtete interessiert das Innere des Cottages. Es war größer als das Cottage, das ihre Mutter und sie gemietet hatten, hatte aber weitaus weniger Fenster. Tatsächlich war es im Inneren ziemlich düster. Zwei Türen führten auf den engen Flur, beide waren geschlossen. Unter einer drang ein dünner Lichtstrahl nach draußen. Sie trat einen Schritt vor, fasziniert von dem hellen Schimmer.
Stevens baute sich vor ihr auf. „Da wollen Sie aber nicht reingehen, Madam.“
„Oh. Nein. Natürlich nicht.“ Sie blickte zu dem Licht. „Was ist da drinnen denn?“
„Da drin liegt der alte Riley Neilson. Dem haben sie beim letzten Scharmützel mit den Franzosen die Hüfte kaputt gemacht. Wir versorgen ihn.“
„Im Salon im Erdgeschoss?“
„Er kann keine Treppen mehr steigen. Wir benutzen beide Salons unten als Schlafzimmer. Riley liegt mit Taggart, Lewis und Jacobson backbord, steuerbord schlafen Toggle, Toots, MacGrady und ich.“
„Sie schlafen in den Salons?“
„Aye.“
Liebe Güte, was war das für ein Haushalt, in dem man Salon und Speisezimmer in Schlafzimmer verwandelte? „Welcher Raum gehört dem Captain?“
Stevens wies auf den dunklen Flur. „Die Bibliothek. Er nennt sie sein Quartier. “
Sie hatte schon zwei Schritte in die angegebene Richtung getan, hielt dann aber inne. „Schläft er dort denn auch?“ „Manchmal. Aber normalerweise hat er sein Schlafzimmer oben. Bisher brauchen wir es nicht, aber wenn noch mehr kommen ...“ Traurig schüttelte Stevens den Kopf. „Wir sind voll bis zum Achterdeck.“
„Voller ... Seeleute?“
„Aye, Madam. Wir alle haben einmal in Diensten der königlichen Marine gestanden. Und unter dem Käpt’n in Trafalgar gedient.“ Stevens strahlte. „Er ist nämlich ein Kriegsheld. Der Käpt’n sagt, wir sind alle Kriegshelden.“ Prudence hatte der Zofe daheim keinen Glauben geschenkt, als sie behauptete, der Captain sei eine Art Kriegsheld - aber wenn sie nun Stevens’ stolze Miene betrachtete, entsprach es vielleicht doch der Wahrheit. „Das muss für Sie alle sehr aufregend gewesen sein. “
„Aye! Admiral Nelson war auf unserem Schiff, als ...“ Ein Schatten huschte über das Gesicht des alten Matrosen. Obwohl er sich rasch wieder im Griff hatte, waren seine Augen feucht geworden.
Prudence kam sich schrecklich gemein vor. Sie räusperte sich. „Zu wie vielen hausen Sie denn hier?“
Stevens hakte die Daumen in die Armausschnitte seiner Weste und blickte nachdenklich zur Decke. „Wir sind siebenundzwanzig. “
„In diesem einen Haus?“
„Nun ja,
Weitere Kostenlose Bücher