Korsar und Kavalier
ausführlicher über Ihren Vater sprechen, aber jetzt ist offensichtlich nicht der geeignete Zeitpunkt.“ Reeves stand auf und verbeugte sich. „Ich bin froh, dass ich Sie endlich gefunden habe. Ich habe es dem alten Earl versprochen.“
„Sie sind sehr loyal gegenüber einem Mann, der diese Treue gar nicht verdient hat.“
Reeves lächelte. „Sein Benehmen Ihnen gegenüber war gewiss nicht dazu angetan, Zuneigung zu wecken, zu mir war er hingegen ganz anders. Ich stehe in seiner Schuld. Und ich bin ein Mensch, der seine Schulden zu zahlen pflegt.“ Reeves legte Schal und Handschuhe an. „Ich werde Sie nun verlassen, Mylord. Aber hoffentlich nicht für lange.“
„Das ziehe ich nicht an.“
Reeves sah auf die Weste. „Dürfte ich fragen, warum nicht?“
Tristan verzog das Gesicht. „Ich mag Westen nicht, und vor allem mag ich die hier nicht.“
„Mylord, es wird uns leichter fallen, die Treuhänder davon zu überzeugen, dass Sie des Vermögens würdig sind, wenn Sie Ihre Rolle auch rein äußerlich verkörpern. Mrs. Thistlewaite schien der Ansicht, dass Sie letzte Woche große Fortschritte gemacht haben, daher sind ein paar neue Kleidungsstücke an diesem Punkt unbedingt erforderlich.“
„Ich habe nichts dagegen, wie ein Gentleman auszusehen. Aber ich hab was dagegen, dieses verdammte rosa Ding anzuziehen!“
„Die Weste ist nicht rosa. Sie ist flohfarben.“
Tristan trug die Weste ans Fenster und zog den Vorhang zurück. Er musterte den Stoff. „Nein. Sie ist rosa.“
„Sie ist flohfarben“, erklärte Reeves mit äußerster Geduld. „Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass Sie diese Farbe noch nicht oft zu Gesicht bekommen haben. Vermutlich werden Segel nicht in dieser Farbe hergestellt.“
„Darauf können Sie Gift nehmen!“
Reeves räusperte sich.
Tristan seufzte. „Tut mir leid. Ich wollte sagen: allerdings nicht. Es ist mir nur so herausgerutscht.“
„Es ist schon viel besser geworden, Mylord. So etwas braucht eben Zeit. “
Zeit war allerdings etwas, was Tristan nicht im Überfluss zur Verfügung stand. Obwohl er letzte Woche einen Großteil des Tages mit der wunderbaren Prudence verbracht und weitaus mehr über die Sitten des ton gelernt hatte, als er je hatte wissen wollen, lag es ihm schwer auf der Seele, wie rasch die Tage vergingen. Schlimmer noch, seine finanzielle Lage wurde anscheinend immer schwieriger. Erst diesen Morgen hatte er den Arzt gerufen, damit er sich Old John Marleys schlimmes Bein ansah. Das Ergebnis verhieß nichts Gutes: Die Heilung würde Wochen, vielleicht sogar Monate dauern und jede Menge Arznei erfordern.
Tristan seufzte. Er brauchte ein Vermögen. Sofort.
Daher hatte er sich bemüht, sich als williger und gelehriger Schüler zu erweisen, wenn Prudence zu ihm kam. Selbst das war schwierig. Anscheinend war er nicht in der Lage, sich an die eng gesteckten Grenzen des Anstands zu halten, wenn sie bei ihm war. Er lernte eine ganze Menge, er wusste, was er tun durfte und was nicht. Aber in ihrer Nähe schienen ihm die Regeln so ... bedeutungslos. Eine Verschwendung.
Der Unterricht war für ihn zu einer Art süßen Qual geworden. Die Atmosphäre zwischen ihnen lud sich mit jedem Tag mehr auf. Doch was noch wichtiger war: Er dachte inzwischen die ganze Zeit an sie und hegte allmählich den Verdacht, dass er sie vermissen würde, wenn der Unterricht vorüber war.
Vielleicht würde er sie bitten, ihn auch weiterhin zu unterrichten, nur würde er diesmal darauf bestehen, dass sie nicht so viele Kleider trug. Er stellte sich ihr Gesicht vor, wenn er ihr diese Forderung vortrug. Der Gedanke entlockte ihm ein Lächeln.
Reeves’ Stimme unterbrach Tristans Überlegungen. „Worüber lächeln Sie, Mylord?“
„Ach, nichts weiter. Ich musste nur an etwas denken, was Prudence gesagt hat.“
Reeves schürzte die Lippen. „Sie meinen wohl Mrs. Thistlewaite?“
„Ich meine Prudence.“
„Korrekter wäre es ... “
„Ich mag vielleicht Ihre verflixte Weste anziehen, aber der Teufel soll mich holen, wenn ich Prudence anders nenne als mit ihrem Vornamen!“
Reeves verbeugte sich. „Wie Sie wünschen, Mylord.“ „Gut“, erwiderte Tristan. Er fühlte sich wie ein Schurke, weil er den Butler so angeschrien hatte, dabei hatte Reeves in seinem Leben wirklich sehr viel Gutes bewirkt. Nicht nur, dass er besseres Essen bekam - er durfte es jeden Tag mit der reizendsten Gefährtin teilen, die man sich nur vorstellen konnte.
Tristan befühlte die Weste.
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