Kosaken Liebe
ich meinen Plan ändere. Sage den deutschen Kanonieren, sie sollen sich bereithalten. Vielleicht müssen sie in dieser Nacht noch an Land. Wenn wir siegen, dann nur mit dem ›Donner des Himmels‹, wie ihn die Tataren nennen.«
Lupin nickte und hatte einen Augenblick lang das Bedürfnis, Jermak zu umarmen und voll väterlicher Dankbarkeit zu küssen … aber dann bezwang er sich, kletterte hinüber in das Kirchenboot und schickte Boten aus, um die deutschen und livländischen Kanoniere zu wecken.
Jermak aber ruderte allein in einem kleinen Kahn an Land und stieg das Ufer hinauf zu den achtzig Todeskandidaten. Er wollte noch einmal vor Morgengrauen mit Muschkow reden.
Zunächst wurde er, kaum am Ufer, von zwei Kosakenwachen angefallen und zu Boden gerissen. Als sie ihren Irrtum merkten, rauften sie sich die Haare, aber Jermak lobte sie und ging dann allein weiter zu der kleinen Burg aus den hochgestellten Booten.
Es war nicht schwer, Muschkow zu finden. Jermak ging nur dem gewaltigen Schnarchen des Popen Oleg Wassiljewitsch nach, betrachtete das frevlerische Bild – Kulakows Kopf auf dem Fahnen-Antlitz des Erlösers – mit einem Grinsen und entdeckte dann, ein paar Schritte weiter, Iwan Matwejewitsch in seiner Decke.
Jermak blieb stehen und starrte den Freund fassungslos an. Neben Iwan, unter der Decke, lag Boris Stepanowitsch, und beide waren nackt. Sie lagen eng beieinander. Jermak sah keine besonderen Einzelheiten, er sah nur Muschkows entblößten Oberkörper, und, an ihn gepreßt wie ein schlafendes Hündchen, den blonden Boris in seiner Schulterbeuge. Auch von ihm erkannte Jermak nur den hell schimmernden nackten Rücken.
Stumm, geradezu betäubt von diesem Anblick, starrte Jermak die beiden an. Er brüllte nicht auf, er riß nicht die Decke von den nackten Leibern, griff nicht nach seiner Lederpeitsche, die er stets in seinem Gürtel trug und in deren Enden Eisenspitzen geknotet waren, nur eine maßlose Enttäuschung, ja Trauer überfiel ihn über einen Freund, der sich so verirren konnte. Ein Kosak liebt einen Knaben … das schien so unbegreiflich, daß Jermak sogar seine Grausamkeit vergaß.
Ich lasse sie sterben, dachte er nur, ehrenvoll in der Schlacht sterben. Es würde mir schwerfallen, Muschkow und Boris aufzuhängen. Ich werde ihnen nicht helfen, wenn die Tataren sie überrennen. Iwan Matwejewitsch, wie konntest du das tun?
Er wandte sich ab, ging zurück zu Oleg Wassiljewitsch und hielt ihm die Nase zu. Der Pope, seines Atems beraubt, zuckte hoch, erinnerte sich sofort hellwach an den Überfall, der ihm das Brandmal MIR auf der linken Hinterbacke eingebracht hatte, und schlug um sich. Aber Jermak hielt seine Fäuste fest und stieß den Popen zurück auf den Boden.
»Ich bin es, Oleg Wassiljewitsch«, sagte er leise.
»Jermak!« Der Pope beruhigte sich. Das Wunder eines Brandmals kann man nicht zweimal ertragen, zumal man mit diesem Wunder wenig anfangen konnte, denn es vor den Gläubigen auszustellen, war schier unmöglich. »Was gibt es? Ist der Plan geändert?«
»Ich rate dir, zurück auf den Fluß zu kommen«, sagte Jermak leise. »Hier wirst du sterben.«
»Und die anderen?«
Jermak schwieg, und das war Antwort genug. Der Pope schüttelte den Kopf.
»Ich bin ihr Priester«, sagte er. »Und ich soll sie allein lassen? Unter der Fahne des Heilands kämpfen sie. Jermak Timofejewitsch, wofür hältst du mich?«
»Dann werde ich drei Freunde verlieren«, erwiderte Jermak. Es kam ihm schwer von der Zunge. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Drei?« fragte der Pope und reckte sich. Ganz fern im Osten glitt erstes Licht über den nachtschwarzen Himmel. Der neue Tag begann.
»Ich werde wie ein einsamer Wolf sein, Oleg Wassiljewitsch, mörderisch und grausam. Gott mit dir!« Jermak stand auf, blickte noch einmal hinüber zu Muschkow und Boris Stepanowitsch und nagte an der Unterlippe. Ganz schwach schimmerte die nackte Haut der beiden durch die Dunkelheit. Welch eine Verirrung, dachte er bitter. Sie müssen sterben. Die Ehre eines Kosaken ist mehr wert …
Er ging zum Ufer zurück, setzte sich wieder in seinen Kahn und ruderte zu dem großen Kommandantenboot. Dort wartete schon Lupin auf ihn.
»Hast du Boris Stepanowitsch gesehen?«
»Er ist bei Muschkow!« sagte Jermak hart. »Und er bleibt bei Muschkow!«
»So ist er tatsächlich durch den Fluß geschwommen?«
»Ja! So eilig hatte er es, zu seinem Freund Iwan Matwejewitsch zu kommen!« Jermaks Herz schlug jetzt stürmisch.
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