Kosaken Liebe
Grenzenlose Wut überfiel ihn. Jetzt bereute er es, Muschkow und Boris nicht sofort erschossen zu haben.
»Und … und du läßt sie einfach sterben?« stammelte Lupin.
»Geh hinüber zu deinem Boot und deinem Altar!« schrie Jermak voller Qual. »Was kümmert's dich? Du bist ein Diakon und ein Pferdedoktor, aber kein Kosak! Laß mich in Ruhe, Alter!«
Kurz darauf stießen die deutschen Kanoniere mit ihren drei Kanonen an Land, zogen sie das Ufer hinauf, bauten Kugeln und Pulverfässer neben sich auf und luden die Rohre. Dann entfachten sie die Feuer für die Lunten, setzten sich neben das Pulver und aßen kalten gebratenen Fisch.
Am Horizont löste sich die Nacht allmählich auf, helle Streifen erschienen am Himmel, der Tag glitt über die grüne Steppe, und das erste Licht gab den Blick frei auf das Lager der Tataren.
Zelt an Zelt aus gegerbten Fellen und langen Stangen, ein wogendes Meer von Pferdeleibern, Rauchfahnen aus Hunderten von Feuern, ein Wald von Lanzen wurden sichtbar. Fürst Tausan, der Befehlshaber dieses Heeres, ließ seine Reiter sammeln. Mametkul wartete weiter unten am Tobol. Und noch etwas sahen die Kosaken: Nicht nur ihnen gegenüber standen die Tataren, auch seitlich von ihnen schälten sich Zeltstädte aus dem Morgendunst.
Jermaks Plan, die Tataren abzulenken und dann woanders zu landen, war sinnlos geworden. So weit man blicken konnte, am ganzen Ufer des Tobols entlang, warteten Kutschums Reiter.
»Sollen wir umkehren?« fragte einer der Hundertmänner. Auf den Booten, in denen die anderen Popen saßen, sang man jetzt Choräle. Lupin, der neue Diakon, stand vor dem Altar im Kirchenboot und sprach mit wirklicher Inbrunst ein Beistandsgebet in die Morgenluft. Dabei liefen ihm die Tränen über die zuckenden, zerfurchten Wangen.
Mein Töchterchen, dachte er. Das ist nun das Ende. Du hast es gewußt und bist Muschkows Frau geworden … Gott segne euch!
»Umkehren?« fragte Jermak und blickte seine Hundertmänner stolz an. »Gibt es dieses Wort, Brüder? Ich habe es nie gelesen! Vorwärts – das ist Kosakenart!«
Singend landeten die Kosaken am Ufer des Tobol. In breiter Linie stürmten ihnen die Reiter des Fürsten Tausan entgegen.
10
Muschkow erwachte zuerst, weil neben ihm der Pope Oleg Wassiljewitsch hustend die Christusfahne aufstellte, in den Boden rammte und dabei gewaltigen Krach machte.
Muschkow zog schnell die Decke über sich und über Marinas nackten Rücken. »Guten Morgen, ehrwürdiges Väterchen«, sagte er. »So früh schon so laut?«
»Der geröstete Hafer bringt mich um!« rief der Kosakenpope. »Meine Därme sind wie ein Blasebalg! Auf die Beine, Kosaken! Der Tag des Sieges beginnt! Halleluja!«
In dem Durcheinander des Aufspringens merkte niemand, wie sich Marina unter Muschkows Decke rasch anzog. Als sie dann aufstand, war sie wieder der schlanke Adjutant Boris Stepanowitsch. Muschkow lief noch mit bloßem Oberkörper herum, sein Gesicht war ein einziges Strahlen. Das Glück der Nacht, die Erfüllung aller seiner Träume, die ganze Seligkeit seines Lebens waren stärker als die Todesnähe.
»Dort stehen sie, die Tataren!« rief er. »Behaltet den Kopf klar, Brüder. Laßt sie nahe genug herankommen, und dann feuern wir, daß sie glauben, die Erde platze auf! Nur Ruhe, meine Freunde, nur Ruhe!«
Doch dann waren sie plötzlich nicht mehr allein. Überall am Ufer tauchten ihre Kameraden auf, schleppten Waffen an Land, schoben die Boote hinauf und verschanzten sich hinter den breiten hölzernen Kähnen, die – hochgestellt – zu einer Mauer wurden, die kein Reiter umreiten konnte. Die Stroganowsche Taktik, Sibirien nicht zu Pferde, sondern mit Booten zu erobern, war der Gedanke eines Genies.
So schleppten tausend Mann ihre hölzerne Festung durch Sibirien – welch eine einmalige Leistung!
Überall wurden jetzt Kommandos geschrien, die Hundertschaften mit ihren Booten bildeten kleine Burgen, die Gewehrschützen luden ihre Waffen, die Popen, bei jeder Hundertschaft einer, richteten ihre auf Lanzenschäften steckenden Kreuze auf, die Fahnenträger entfalteten die mit Heiligen bestickten Fahnen. Zwischen zwei hochgestellten Kähnen standen in aller Ruhe die deutschen und livländischen Kanoniere an ihren Geschützen, hielten die Lunten bereit und kauten dabei kleine Stücke getrocknetes Fleisch. Dazu tranken sie Kumyss, gegorene Stutenmilch, die sie bei den ostjakischen Bauern gesammelt und in großen Tonkrügen mitgenommen hatten. Diese säuerliche Milch
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