Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
Auseinandersetzung drei Zustände, die stets siegreich bleiben: die Müdigkeit, der Schlaf und der Tod. Ich versuche, mich an die ersten beiden zu halten und den dritten zu vergessen. Und seltsamerweise schaffe ich das sogar. Wenn mich jemand in diesem Augenblick fragte, ob ich glaubte, daß die Terroristen die Geiseln freilassen, würde ich antworten: Ja, davon sei ich zutiefst überzeugt.
Ich erinnere mich an einen Ausspruch des Kommissar, der mich damals beim Drogendezernat ersetzt hat, als ich zur Mordkommission wechselte. Die Athener, sagte er, lebten den ganzen Tag in der Hölle, einzig und allein um nachts für ein paar Stunden im Paradies zu sein. Ein Jahrzehnt später und mit meiner Tochter in der Hand unbekannter Geiselnehmer an Bord einer entführten Fähre muß ich ihm recht geben.
Als ich die Eolou-Straße hinter mir lasse und die Kolokotroni- bis zur Amerikis-Straße hochlaufe, um den Mirafiori zu holen, bricht gerade die Morgendämmerung an, und die ersten Busse fahren die Stadiou-Straße entlang. Ich werfe einen Blick auf meine Uhr: Es ist kurz nach sechs. Vernünftigerweise sollte ich in die Risari-Straße einbiegen, aber ich passiere sie, um am Hilton abzubiegen. An der Ecke Vassilissis-Sofias- und Vassileos-Konstantinou-Boule-vard stoppt mich die rote Ampel. Hätte ich nicht angehalten, wäre ich mit Sicherheit nach Hause gefahren. Als es grün wird, biege ich jedoch nach links ab und setze die Fahrt auf dem Vassilissis-Sofias-Boulevard fort. Urplötzlich hat sich die Idee in mir festgesetzt, nach Chalkida zu fahren, um Ifantidis' Familie zu befragen. Ich weiß, daß dies ein Fehler ist, und unter normalen Umständen würde ich so etwas niemals tun. Zuerst sollte ich die Wohnung des jungen Mannes untersuchen, denn dabei könnten sich wichtige Hinweise ergeben, die mit seinen Angehörigen abgeklärt werden müssen. So muß ich möglicherweise die Fahrt nach Chalkida zweimal auf mich nehmen. Zudem ist es taktisch unklug, bei den Eltern des Opfers im Morgengrauen aufzutauchen. Mit Sicherheit vergessen sie die Hälfte von dem, waS sie zu einer vernünftigen Tageszeit erzählt hätten. So gingen wir zu Juntazeiten vor, wenn wir zur Wohnung eines Regimegegners fuhren und unter Gebrüll - »Aufmachen, Polizei!« - an die Tür hämmerten, um die Familie so sehr in Angst und Schrecken zu versetzen, daß sie beim Abtransport des Vaters oder des Sohnes keinen Mucks von sich gaben. Doch auch die jetzigen Umstände weichen so sehr vom Normalfall ab, daß es mir unmöglich ist, meine Gedanken zu ordnen und zu disziplinieren.
Das einzig Gute an dieser spontanen Entscheidung ist, daß die Fahrt bis Kifissia wie geschmiert läuft, als wäre ganz Athen in den Osterferien. Mit Ausnahme eines kleinen Halts an der Ampel in Psychiko läßt der Mirafiori die Ampeln problemlos hinter sich wie ein fehlerfreier Hürdenläufer. Mit demselben Schwung lasse ich Kifissia hinter mir und biege bei Nea Erythrea links auf die Nationalstraße Athen-Lamia ab.
Beim Anblick der Nationalstraße versuche ich mich zu besinnen, vor wie vielen Tagen wir sie auf unserer Rückkehr aus Thessaloniki mit Fanis' Wagen entlangfuhren und wie glücklich wir damals über Katerinas Doktorat waren. Ich bin drauf und dran, in Schwermut zu verfallen, doch glücklicherweise verbietet die Lage auf der Nationalstraße jegliche Ablenkung, da ich unerwartet mitten in einem Chaos aus Lastwagen, Linienbussen, Reisebussen, Kleintransportern, Pick-ups und pkws stecke, die verzweifelt versuchen, einander zu überholen. Erinnerte Kifissia verkehrsmäßig an den Ostersonntag, so gemahnt die Nationalstraße an den großen Exodus am Gründonnerstag.
Auf der Höhe von Varybombi merke ich, wie meine Augenlider schwer werden. Ich versuche krampfhaft, sie offenzuhalten und mich auf die konfuse Straßenlage zu konzentrieren, die ich zu meistern habe. Ein paar Kilometer schaffe ich es noch, dann überkommt mich immer mehr das Gefühl, an der Kippe zu einer Art Sekundenschlaf zu stehen, in dem man kurzfristig das Bewußtsein verliert und beim Erwachen meint, aus dem Tiefschlaf zu erwachen.
Ein Verkehrsunfall wäre nun wirklich das letzte, was ich in meiner Situation gebrauchen könnte. Kurz nach dem Autobahnkreuz von Malakassa halte ich an einem Rastplatz an und schraube die Sitzlehne nach hinten. Kaum habe ich die Augen geschlossen, schlummere ich auch schon ein.
* 12
Das Klingeln des Handys reißt mich aus dem Schlaf, und schon
Weitere Kostenlose Bücher