Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
dringt mir Vlassopoulos' besorgte Stimme ins Ohr. »Wo sind Sie, Herr Kommissar? Den ganzen Morgen suche ich Sie schon, und zu Hause ist keiner rangegangen.«
Mit einem Blick auf meine Uhr stelle ich fest, daß es bereits halb zehn ist. Ich muß etwa zweieinhalb Stunden geschlafen haben. »Ich bin auf dem Weg nach Chalkida.«
»Wie sind Sie denn darauf gekommen, am frühen Morgen nach Chalkida zu fahren? Gibt es einen besonderen Grund dafür?«
»Nein.«
»Wieso dann?«
Ich ahne, daß seine Besorgnis in gouvernantenhaftes Verhalten umzuschlagen droht, und treibe sie ihm am besten gleich aus.
»Einfach so.«
»Ich wollte nur fragen, ob ich die Spurensicherung in Ifantidis' Wohnung schicken oder Ihre Rückkehr aus Chalkida abwarten soll.«
»Schick sie los, damit wir keine Zeit verlieren.«
»Wo sind Sie jetzt?«
»Gerade habe ich Malakassa passiert.«
»Wie sind Sie unterwegs? Mit einem Streifenwagen?«
»Nein. Mit meinem eigenen Wagen.«
Hier tritt eine weitere Pause ein. »Herr Kommissar, finden Sie es richtig, daß Sie in Ihrem Zustand mit dem Mirafiori auf der Nationalstraße unterwegs sind?«
Er strengt sich wirklich mächtig an, mich auf die Palme zu treiben. »Was für ein Zustand, Vlassopoulos, und was hat der Mirafiori damit zu tun? Wenn ich eine Panne habe, rufe ich die Verkehrspolizei an.«
Ich trete voller Wut aufs Gaspedal, doch der Motor meines Mirafiori stöhnt auf und verfällt daraufhin ins Stottern, so daß ich meinen Zorn unterdrücke und die Reisegeschwindigkeit auf sichere sechzig drossele, damit er mir nicht liegenbleibt. Ich klemme mich hinter einen Lastwagen und halte mich an das vorgegebene Tempo, bis ich von der Nationalstraße auf die Straße nach Chalkida wechsle. Dort habe ich mit meinem Gefährt keine Probleme, denn die Straße ist so eng, daß selbst Schumacher kaum Tempo sechzig überbieten könnte.
Nachdem ich die Brücke überquert habe, fahre ich in den Ort hinein. Ifantidis' Familie wohnt in einer Parallelstraße zur Strand- und Flaniermeile, wo man an Pizzerias, Ouzo-schenken, Fischtavernen und Cafes entlangspazieren kann, in denen um zehn Uhr morgens bereits die ersten Gäste vor ihrem Kaffee-Frappe, ihrem Mobiltelefon und ihrer Packung Marlboro plus Feuerzeug sitzen.
An der Hausnummer 27 finde ich das Klingelschild mit dem Namen »Sarsanou/Ifantidi« vor.
»Wer ist da?« fragt eine Frauenstimme.
»Kommissar Charitos, Mordkommission Athen.«
»Warten Sie, ich komme runter.«
Ich wundere mich, denn normalerweise - außer, die Tür kann von oben nicht geöffnet werden - werde ich hochgebeten. Die junge Frau, die aus dem Fahrstuhl tritt, trägt Schwarz. Aus der Nähe sieht sie nicht älter als dreißig aus.
»Ich bin Eleni Ifantidi, Stelios' Schwester«, stellt sie sich vor. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie nicht hinaufgebeten habe aber meine Mutter ist gerade erst eingeschlafen, und ich möchte nicht, daß sie Sie beim Aufwachen antrifft. Ich stehe Ihnen jedoch zur Verfügung. Wollen wir irgendwohin gehen, um uns zu unterhalten?«
All dies äußert sie in einem Atemzug, als fürchte sie, etwas zu vergessen. »Verstehe, aber irgendwann werden wir auch Ihre Mutter befragen müssen.«
»Geben Sie ihr ein, zwei Tage Zeit, um wieder auf die Beine zu kommen. Ich bitte Sie.«
»Einverstanden, so eilig ist es nicht«, beruhige ich sie. »Reden zuerst wir beide, und wenn es notwendig erscheint, dann befragen wir auch Ihre Mutter.«
Sie führt mich in ein Cafe, das nicht an der Küstenstraße liegt. Wir bestellen zwei Kaffees: sie einen Cappuccino und ich einen süßen Mokka. Die Ifantidi zündet sich eine Zigarette an und inhaliert ein paar tiefe Züge.
»Was ist nur mit Stelios passiert!« bricht es aus ihr hervor. »Mein Gott, was nur!« Und obwohl sie die negative Antwort im vorhinein schon weiß, fragt sie: »Haben Sie ihn geschnappt?«
»Nein, leider haben wir noch keine Anhaltspunkte. Aber er wird uns nicht entkommen.« Das ist zwar überhaupt nicht sicher, aber ich will sie mit meiner Aussage moralisch aufbauen.
»Und wenn Sie ihn finden? Macht das Stelios vielleicht wieder lebendig?« Plötzlich bricht sie in ein hysterisches Lachen aus. »Klingt großzügig, was? Alle sagen wir das selbe: Macht es ihn etwa wieder lebendig?« Genauso plötzlich verschwindet ihr Lächeln wieder, und sie sagt: »Nein er soll geschnappt werden! Ich will ihn
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