Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
denn für meinen Vater sind alle Künstler Schwuchteln. Oder auch weil sie ihn mit den falschen Neigungen zur Welt gebracht hat. Sie können es sich aussuchen, aber trotz dieser schrecklichen Familienkrise hat Stelios die Aufnahmeprüfung an die Kunsthochschule in Athen geschafft. Als er mit den Werbespots ins Geschäft kam, hat er sich riesig gefreut. Nicht, weil er Model werden wollte, sondern weil er damit Geld verdiente und meiner Mutter und mir nicht länger auf der Tasche lag.« Sie atmet tief durch und fügt hinzu: »Deshalb sage ich Ihnen: Mein Bruder war vielleicht homosexuell, aber sein Wille war stärker als der von zehn Männern.«
Sie blickt auf ihre Uhr und erhebt sich eilig. »Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, gehe ich jetzt. Meine Mutter wacht gleich auf, und ich will nicht, daß sie mich erst suchen muß.« Sie streckt mir die Hand zum Abschied entgegen. »Wann wird die Leiche zur Bestattung freigegeben?« preßt sie mühsam hervor.
Die schwierigste Botschaft habe ich mir zum Schluß aufgehoben. »Eventuell schon morgen.«
Sie geht grußlos. Ich blicke ihr nach, als sie sich hastig entfernt, und denke, daß mir hier etwas nicht in den Kram paßt. Wenn Stelios Ifantidis so ein Heiliger war, wie seine Schwester behauptet, wieso sollte ihm dann jemand eine Kugel mitten in die Stirn verpassen? Denn seine Ermordung riecht zehn Kilometer gegen den Wind nach einer Exekution. Außer, er spielte in vollendeter Weise zu Hause die Rolle des »braven Jungen«, und in Athen steckte er bis zum Hals in der Scheiße. Es gibt aber noch eine weitere Möglichkeit, deren bloßer Gedanke mich schaudern läßt: daß wir es mit einem Serientäter zu tun haben, der es auf Schwule abgesehen hat. Nun ist es gewiß leichtfertig, aus einem einzigen Mord an einem Homosexuellen solche Schlüsse zu ziehen. Ich muß sehen, wie sich die Dinge weiterentwickeln, und hoffen, daß ich Lügen gestraft werde.
Bevor ich von dem Cafe aufbreche, kontrolliere ich die Uhrzeit. Es ist schon elf. Ich rufe Vlassopoulos an, er möge mit der Lasaratou von der Firma Star Models einen Termin am frühen Nachmittag vereinbaren, damit ich zuvor noch Ifantidis' Wohnung inspizieren kann.
Ich steige wieder in den Mirafiori und trete den Rückweg nach Athen an. Die Ausfahrt aus Chalkida gestaltet sich noch einfach, doch der Verkehr wird dichter, je näher wir der Brücke kommen. Ich sehe schon voraus, daß der Weg bis zur Nationalstraße zur Qual wird, doch bevor ich auf die Brücke auffahre, läutet erneut das Handy, und Gikas' Stimme eröffnet mir: »Gute Neuigkeiten für Sie. Der Kapitän der El Greco hat uns benachrichtigt, wir sollten Motor- und Schlauchboote bereithalten, um Passagiere aufzunehmen. Daraus schließen wir, daß sie etwa achtzig vor allem Alte, Frauen und Kinder freilassen.«
»Wann sollen sie freikommen?«
»Weiß ich nicht genau. Wir stehen jedenfalls auf Abruf bereit und warten auf ihre Anweisungen. Auch die Fernsehteams sind informiert.«
»Vielen Dank, daß Sie mich benachrichtigt haben.«
»Ist doch selbstverständlich! Ich kann Sie doch nicht im ungewissen lassen«, bemerkt er, fast beleidigt.
»Was meint Parker dazu?«
»Er hält es für ein gutes Zeichen. Sobald sich etwas Neues ergibt, melde ich mich bei Ihnen.«
Die Straße, die zur Brücke führt, steigt leicht an. Ich schere aus der Fahrspur aus, fahre an den Rand und beginne im Rückwärtsgang wieder hinunterzurollen - bespuckt, verflucht und begleitet von begeisterten Zurufen wie »Trottel!«, »Blödian!« und »Wer hat dir den Führerschein hinterhergeschmissen, du Verbrecher!«. Am Ausgangspunkt der Straße wende ich abrupt und reihe mich wieder in die Spur Richtung Chalkida ein, während ich Adrianis Handynummer wähle.
»Wir haben es gerade gehört!« ruft sie aufgeregt. »Wir gehen jetzt zum Alten Hafen. Bete zu Gott, daß sie Katerina und Fanis freilassen!«
Ich versuche ihre Hoffnungen zurechtzustutzen, um ihre Enttäuschung in Maßen zu halten. »Das ist kaum zu erwarten. Sie wollen nur Alte und Frauen mit Kindern freilassen. Katerina und Fanis gehören in keine der Kategorien.«
»Man kann nie wissen. Manchmal geschehen Zeichen und Wunder.«
»In jedem Fall ist es ein gutes Omen. Sie lassen Passagiere frei, und darüber hinaus werden wir aus erster Hand Informationen über die Bedingungen an Bord und über die Identität der Terroristen erfahren.«
Für sie ist es
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