Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
beschlossene Sache, daß sie Katerina und Fanis sehen wird, und mit weniger will sie sich nicht zufriedengeben. Ich nehme mir vor, sie gleich nochmals anzurufen, und halte am ersten Kafenion auf der Strecke an. Es ist ein klassisches Provinzkafenion an den Ausläufern von Chalkida und hat mit schicken Cafes nichts gemein. Zwei alte Männer spielen Tavli und vier weitere Karten.
»Meister, mach mal den Fernseher an«, sage ich zum Kafenionwirt.
Er unterbricht die Aufräumaktion an seiner Theke und blickt mich genervt an. »Wozu? Hältst du es ohne das Frühstücksfernsehen nicht aus?« fragt er spöttisch.
Ich bin drauf und dran, ihm zu sagen, daß ich es ohne meine Tochter und Fanis nicht aushalte, die als Geiseln auf der El Greco sitzen, doch ich beiße mir auf die Lippen.
»Nein. Aber die Entführer der El Greco lassen Geiseln frei.«
Alle sechs unterbrechen augenblicklich ihr Spiel. »Thanassis, mach den Fernseher an«, meint der eine.
Dem Wirt gefällt es offensichtlich wenig, im eigenen Lokal bevormundet zu werden, und er leistet nach wie vor Widerstand. »Und wer bist du? Journalist?«
»Bulle«, entgegne ich kurz angebunden und drücke auf die Fernbedienung.
Der Bildschirm zeigt die El Greco vor den Thodorou-Inseln. In der linken oberen Ecke befindet sich das Fensterchen des Moderators. Die Kamera verläßt nun das Schiff und die Inseln und kehrt zum Korrespondenten zurück, der niemand anderer als Sotiropoulos ist.
»In diesem Augenblick starten die Boote der Hafenpolizei, um sich dem Schiff zu nähern und die Passagiere aufzunehmen«, sagt Sotiropoulos. Die Kamera wendet sich wieder dem Hafen zu, und ich erkenne, wie die Boote der Hafenpolizei nacheinander Kurs auf die El Greco nehmen. »Die Angehörigen der Geiseln und Einwohner von Chania haben sich am Hafen versammelt und warten gespannt auf die Ankunft der von den Terroristen freigelassenen Passagiere.«
Die Schaulustigen stehen dicht gedrängt an der Küstenkante. Ganz Chania gibt sich ein Stelldichein. Irgendwo dort müssen sich auch Adriani, Sevasti und vielleicht auch prodrornos befinden. Bloß ich bin nicht dort und verfolge statt dessen alles vor dem Fernseher. Wer keinen Platz im Parkett gefunden hat, läßt sich auf den Rängen nieder, mit dem Resultat, daß die Kafenions aus den Nähten zu platzen drohen. Die Kamera richtet sich auf die erste Reihe, in der einige mit ihren Fotoapparaten um den besten Platz rangeln, um die Szene zu verewigen.
»Völlig überfüllt sind die Kafenions an der Küstenstraße, he! Vollkommen überfüllt!« höre ich die Stimme des Wirts neben mir sagen. »Es heißt ja: Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte! Die einen zittern, und bei den anderen klingelt die Kasse!«
»Bei denen klingelt so oder so die Kasse«, bemerkt ein Gast. »Kreta hat jede Menge Tourismus.«
»Was heißt hier Tourismus? Durch eine Entführung am Anfang der Saison verdienst du in zwei Wochen soviel wie sonst im ganzen Jahr.«
»Fällt dir nichts Besseres ein?« echauffiert sich ein anderer Gast. »Was willst du eigentlich? Sollen wir in Chalkida eine Entführung organisieren, damit bei dir die Kasse klingelt?«
»Wieso, hab ich vielleicht ein Lokal an der Flaniermeile? Nein, einen Saftladen in einer Scheißgegend. Laß mich doch in Ruhe, ich bin eben eine verkrachte Existenz«, sagt der Kafenionwirt, als wiederhole er eine Selbsteinschätzung, die er sich von Kindesbeinen an zurechtgelegt hat.
Zum Glück endet hier die Diskussion, und ich kann meine Aufmerksamkeit auf Sotiropoulos richten, der ein Mikrofon in der Hand hält und die Boote der Hafenpolizei beobachtet.
»Wie es scheint, tut sich etwas an Deck«, bemerkt der Moderator. »Ja, zum ersten Mal seit dem Tag der Entführung. Leider haben Polizeikräfte und Hafenpolizei den Fernsehteams aus Sicherheitsgründen keine Aufnahmen in der Nähe des Schiffes gestattet. Iakovos, wie nah kannst du rangehen?«
Anstelle einer Antwort fährt die Kamera näher an das Schiff heran. Die Distanz ist immer noch groß, doch es reicht aus, um die Personen zu zeigen, die sich an Deck versammelt haben. Vorne, neben den Rettungsbooten, sind zwei schwarzgekleidete Typen zu erkennen, die Kalaschnikows in Händen halten. Ihre Gesichter sind maskiert. Mittlerweile sind die Boote der Hafenpolizei fast bei der El Greco angelangt.
»Ich glaube, hiermit bekommen wir die Terroristen zum allerersten Mal zu Gesicht.
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