Kostas Charitos 05 - Der Großaktionär
Schwester finanziell unterstützen konnte. Eines Tages sagte er zu mir, von dem Geld, das er verdiene, behalte er nur das Nötigste und schicke den Großteil nach Hause.«
»Und über seine Schwester?«
»Er hatte Gewissensbisse, weil sie sich allein um die Mutter kümmern und gleichzeitig mit ihrem Job zurechtkommen mußte, während er in Athen ein Künstlerleben führen durfte.«
Nun gelangen wir zur unvermeidlichen Frage nach Ifantidis' Liebesleben, und ich weiß nicht, wie ich mich danach erkundigen soll. Wenn ich unbefangen frage, als wüßte ich von nichts, verstärke ich wahrscheinlich ihr Mißtrauen und ihre Vorbehalte und erhalte auch keine richtigen Antworten. So beschließe ich, mich voranzutasten und nach und nach meine Karten aufzudecken.
»Hört zu, Leute«, beginne ich in freundschaftlichem Ton. »Wir wissen alle, daß euer Kommilitone homosexuell war. Also sind wir gezwungen, seine Liebesbeziehungen in Augenschein zu nehmen, da nicht auszuschließen ist, daß wir es mit einem Verbrechen aus Leidenschaft zu tun haben.«
»Halte ich für wenig glaubhaft«, entgegnet Aleka sofort.
»Wieso?«
»Weil er in den ungefähr zwei Jahren, in denen wir uns kannten, niemals über sein Liebesleben gesprochen hat. Noch habe ich ihn je mit einem anderen Mann gesehen.«
Ich wende mich an die übrigen. »Hat vielleicht einer von euch etwas gesehen oder weiß etwas?«
Das Schweigen und einige verneinende Gesten zeigen mir, daß keiner etwas weiß. Ich bin schon soweit, das Thema abzuschließen, als der junge Mann mit dem hochstehenden Haar erneut vorprescht.
»Höchstwahrscheinlich hat er es aus Angst verheimlicht«, sagt er mit seinem spöttischen Grinsen, das mich auf die Palme bringt.
»Wovor sollte er Angst haben? Daß wir merken, daß er gay ist?« fragt eine Kommilitonin. »Stelios hat das nicht verborgen.«
Der junge Mann wendet sich mir zu. »Wissen Sie, Schwule sind in bezug auf ihre Liebespartner sehr unsicher«, erläutert er belehrend. »Sowie sie einen Freund finden, verheimlichen sie ihn, damit er ihnen nicht weggeschnappt wird.«
Ich will ihn schon zurechtweisen, als Aleka mir zuvorkommt, die völlig außer sich einwirft: »Lambis, Stelios ist tot, hast du das geschnallt?« ruft sie und ist drauf und dran, in Tränen auszubrechen. »Du brauchst ihn nicht mehr hinter seinem Rücken runterzumachen, und du brauchst auch nicht mehr eifersüchtig zu sein, weil er überall blendend abgeschnitten hat.«
»Okay, reg dich nicht auf. Es war nur ein Scherz.«
»Schöner Scherz«, entgegnet Aleka spöttisch. Danach wendet sie sich mir zu. »Stelios hat keine Angst gehabt, jemand könnte ihm seinen Freund wegschnappen, Herr Kommissar. Stelios hat einzig und allein vor seinem Vater Angst gehabt.«
»Hat er das so erzählt?«
»Er hat erzählt, daß der fähig wäre, jemanden umzubringen, wenn er in Rage sei, und daß er mit ihm überhaupt nicht gut auskam. Manchmal machte er den Eindruck, an Verfolgungswahn zu leiden. Einmal tranken wir gerade Kaffee, und plötzlich sprang er auf, weil er dachte, sein Vater sei vorübergegangen. Oder er schaute nachts aus dem Fenster, weil er meinte, jemand lauerte ihm unten auf der Straße auf.«
Schon wieder der Vater, sage ich mir. Zum dritten Mal taucht er auf und jedesmal mit derselben wütenden Grimasse. Ich werde mit ihm sprechen müssen, obwohl ich es für unwahrscheinlich halte, daß er seinen Sohn aus nächster Nähe erschossen hat. Und dann kommt noch das Rätsel mit der Pistole hinzu. Und was die drei jungen Kommilitonen betrifft, so hat keiner von ihnen die bullige Statur, die Frau Teloni an Stelios' Freund mit dem Motorrad aufgefallen war. Also sind Stelios Ifantidis' Kommilitonen in ihrer Eigenschaft als Zeugen gerade mal durch unsere Prüfung gekommen, während sie als potentielle Mörder durchgefallen sind.
Kaum habe ich den Gedanken zu Ende geführt, unterbricht mich das Telefon. Ich hebe den Hörer ab und höre Koulas Stimme.
»Herr Charitos, können Sie einen Augenblick hochkommen?«
»Geht es auch später? Ich bin gerade in einer Vernehmung.«
Sie zögert einen Moment, doch dann beharrt sie: »Es ist ziemlich dringend.«
»Mach du weiter«, sage ich zu Vlassopoulos. »Und wenn du mit den jungen Leuten fertig bist, möchte ich, daß du mir den Vater ausfindig machst.«
Während ich auf den Fahrstuhl warte, um in die fünfte Etage zu fahren,
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