Kostas Charitos 06 - Die Kinderfrau
Zappeio-Mädchenschule«, sagt sie und steckt sich eine weitere Zigarette an.
Der Esstisch ist mit einer weißen gestärkten Tischdecke, einem Porzellanservice, drei verschiedenen Sorten von Kristallgläsern, Silberbesteck und mit Monogramm versehenen silbernen Serviettenringen gedeckt, die ich in Athen höchstens bei einer - unwahrscheinlichen - Einladung zum Abendessen beim Staatspräsidenten zu Gesicht bekommen hätte. Die Sitzordnung sieht stets einen Herrn neben einer Dame vor, wobei mir das Los zufällt, neben der Gymnasiallehrerin Platz zu nehmen.
Die Lobesworte der Kourtidou bezüglich Adrianis zurückhaltenden Essgewohnheiten fallen mir wieder ein, als ich sehe, dass etwa ein Dutzend verschiedener Teller mit kalten und warmen Mezze auf dem Tisch steht. Was bei uns gerade mal für ein Büffet mit Häppchen reichen würde, gilt hierzulande als normales Abendessen. Und das macht einen gewaltigen Unterschied, denn am Büffet häuft man alles turmhoch auf seinen Teller, während man hier stückchenweise probiert. Die Gäste loben nacheinander die Kochkünste der Kourtidou, doch mit der entwaffnendsten Ehrlichkeit äußert sich Adriani.
»Tagelang habe ich mir eingebildet, liebe Aleka, die Istanbuler Küche inzwischen zu kennen«, sagt sie vertraulich. »Doch erst jetzt habe ich begriffen, was sie wirklich so einzigartig macht.«
Die Kourtidou dankt ihr entzückt, obwohl sie die Tragweite des Lobs gar nicht abschätzen kann, da sie nicht weiß, wie sehr Adriani damit geizt, die Kochkünste anderer zu loben.
Von da an nimmt die Konversation eine Wendung, der ich nicht folgen kann, da sie sich um Kirchen und Kirchensprengel, das Patriarchat, das Hospital und das Altersheim von Baloukli, die Zografeio-Oberschule, die Zappeio-Mädchenschule und das Gymnasium des Ökumenischen Patriarchats dreht, wobei sich sechs Personen angeregt unterhalten, während zwei Ahnungslose, nämlich ich und Adriani, sich aufs Essen beschränken, da wir nichts Besseres zu tun haben. Nur die Saratsoglou hält sich zurück und beteiligt sich nicht am Gespräch.
»Wir betreiben wieder mal Nabelschau und lassen Sie außen vor«, sagt die Saratsoglou plötzlich zu mir.
»Das macht nichts, es ist nur zu verständlich«, entgegne ich, obwohl sich bei mir langsam ein Völlegefühl einstellt, sowohl im Hinblick auf das Essen als auch auf meine wachsende Langeweile.
»Wissen Sie, als ich mich vorhin vorgestellt habe, war ich etwas ungenau. Ich arbeite eigentlich gar nicht mehr als Lehrerin an der Zappeio-Mädchenschule, dieses Jahr bin ich in Rente gegangen.«
»Ist Ihnen der Abschied schwergefallen?«, frage ich, denn das würde erklären, warum sie qualmt, was das Zeug hält, und nicht einmal zum Essen eine Pause einlegt.
»Ja und nein. Ja, weil die Zappeio-Schule mein Lebensinhalt war und ich noch keinen neuen gefunden habe. Und nein, weil ich keine Lust mehr hatte, unsere großen Lyriker Palamas und Kavafis vor kleinen Syrerinnen zu unterrichten, die mit Mühe fünf griechische Sätze herausbringen.« Sie hält inne und schiebt die erwartbare Frage nach: »Haben Sie Kinder, Herr Kommissar?«
»Eine Tochter. Sie hat in Thessaloniki Jura studiert und macht jetzt ihr Referendariat in Athen.«
»Hatte sie noch Altgriechisch an der Schule?«
»Nein, als Katerina zur Schule ging, war Altgriechisch bereits aus dem Lehrplan der Oberschulen gestrichen.«
»Manchmal dachte ich mir, es würde keinen Unterschied machen, wenn ich im Unterricht altgriechisch redete. Diese Kinder hätten Alt- genauso wenig wie Neugriechisch verstanden.« Sie sinnt kurz nach und fährt fort: »In der letzten Zeit meinte ich sogar, an einem fremdsprachigen Lyzeum zu unterrichten, am St.-Benoit-Lyzeum, an der Deutschen Schule oder am Notre-Dame-de-Sion. Die Kinder, die zu uns kommen, lernen die griechische Sprache und Grammatik, und wenn es nötig ist, sprechen sie auch griechisch in der Klasse, aber sobald sie zu Hause sind, kehren sie zu ihrer arabischen Muttersprache zurück. Genauso wie die Schüler an den fremdsprachigen Lyzeen.«
»Gibt es keine Kinder aus griechischen Familien an den Schulen?«
»Doch, so wie es französische Kinder im St. Benoit oder deutsche Kinder an der Deutschen Schule gibt. Aber sie bilden die Minderheit.«
Das Essen ist vorüber, und wir kehren in den Salon zurück, um Kaffee zu trinken. Ich folge der Saratsoglou und setze mich an ihre Seite. Zum Teil, weil sie mir
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