Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
Augenblick lang Schweigen, und ich packe den Hörer fester.
»Und was soll ich mit Mr Vitali machen?« Ein eiskalter Wind bläst spürbar durch die Leitung.
Aber Madames Marmelade und die Croissants haben mir Mut eingeflößt. »Sagen Sie Beattie doch, sie soll einspringen.« Und dann lege ich auf. Dieses Mal habe ich es tatsächlich geschafft - ich habe gekündigt.
37
I ch warte an der Rezeption. Das junge Mädchen hinter dem Tresen sagt, ich solle mich doch setzen. Aber ich stehe lieber. Das Telefon klingelt. Sie nimmt ab, hört zu, nickt und legt wieder auf.
»Monsieur Vitali vous attend, Mademoiselle.« Sie lächelt höflich, als sie auf ihrem Drehstuhl herumschwingt und auf den Fahrstuhl zu ihrer Rechten deutet, mit dem ausdruckslosen Gesicht einer Stewardess, die vor dem Start Sicherheitshinweise gibt und für den Fall eines Absturzes auf die Notausgänge zeigt. »C'est au quatrième.«
Ich drücke den Knopf für den vierten Stock. Die Fahrstuhltüren schließen sich, und ich bin allein. Im Spiegel hinter mir überprüfe ich mein Aussehen. Ich sehe Grandmas Gesicht. »Du bist genau wie sie«, klagte meine Mutter immer. »Du bist schön«, sage ich mit einem ermunternden Lächeln zu meinem Spiegelbild. »Du kriegst das hin.« wie beim Pokern. Ich muss bloß die richtigen Karten ausspielen.
Der Aufzug öffnet sich zu einem wunderschönen, hohen Raum mit bodentiefen Fenstern. Der Blick auf die Rue Royale verschlägt mir den Atem. Kristallleuchter hängen an der Decke, luxuriös und extravagant. Es ist, als beträte man La Galerie des Glaces, die Spiegelgalerie im Schloss von Versailles. Der Raum wirkt eher wie ein Ballsaal als wie ein Büro. Aber schließlich ist »Mr Vitali kein gewöhnlicher Kunde«, wie die Schneekönigin zu sagen pflegte, daher ist dies auch kein gewöhnliches Büro. Und Moratel ist eines der renommiertesten und einflussreichsten französischen Unternehmen in der Telekommunikationsbranche.
Eine Frau eilt auf mich zu. Das leichte Pochen ihrer Pumps auf den blank gebohnerten alten Bodendielen erinnert an das Steppen irischer Tänzer. Sie ist tadellos gekleidet: ein gut sitzender Rock mit einer Jacke, die ihrer Figur schmeichelt. Der Schnitt dieses Kostüms ist einfach perfekt, genau wie sie selbst. Das Gesicht ist künstlich gebräunt (in Europa ist schließlich erst April), und das aschblonde Haar hat sie zu einem Knoten frisiert, jedes Strähnchen liegt an seinem Platz. Das muss Carlos persönliche Assistentin sein.
»Mademoiselle MacIntyre.« Sie lächelt, als würde sie mich gut kennen, als wäre ich eine alte Freundin. »Monsieur Vitali vous attend.«
Er erwartet mich. das hat mir das junge Mädchen an der Rezeption auch gesagt. Während ich durch den Ballsaal und durch einen zweiten, ebenso eindrucksvollen Raum in einen weiteren Saal geführt werde, male ich mir aus, wie Carlo mich erwartet. Ich stelle mir vor, wie er hinter seinem Schreibtisch sitzt und mit dem Stift gegen die polierte Kante klopft, splitternackt. Dieser Gedanke gibt mir Kraft und Mut und bestärkt mich in der Überzeugung, dass ich das Richtige tue.
Allerdings ist er heute vollständig angekleidet. Und als seine Assistentin mich hineingeleitet und mit einem diskreten Klicken die Tür hinter mir schließt, habe ich das Gefühl, dass niemand uns stören wird, auch ohne dass Carlo darauf hinzuweisen braucht. Er steht auf, kommt um den Schreibtisch herum und geht mit ausgestreckten Armen auf mich zu, als wolle er mich zum Tanzen auffordern. Sein Lächeln ist betörend, es haut mich fast um. Mir wird bewusst, dass er keine Ahnung hat.
»Anna!«
»Carlo.« ich erwidere sein Lächeln.
Meine Knie werden ein wenig weich, aber sonst ist alles in Ordnung. Ich ergreife seine ausgestreckte Hand, und er zieht mich an sich, presst den Mund auf meine Lippen, leidenschaftlich. Seine Hand liegt fest auf meinem Rücken, so als gehöre ich ihm und als gehöre er ausschließlich mir. Dabei geht es mir weniger gut als noch vor einer Sekunde, vor allem, als seine Zunge sich für einen kurzen Moment in meinen Mund schiebt. Aber gleich wird es bestimmt besser ...
»Anna!« Carlos Hände liegen jetzt besitzergreifend auf meinen Hüften. Er hält mich von sich fort, gerade so weit, dass er den Blick über mein Gesicht und meinen Körper wandern lassen kann. »Anna, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Du warst heute Morgen nicht da. Bist du krank?«
»Es geht mir schon wieder besser.«
Er schaut mir in die Augen, die
Weitere Kostenlose Bücher