Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
Mann sich schon zum Gehen gewandt und war zum nördlichen Ende des Strandes unterwegs.
»Danke!«, rief ich ihm nach. »Vielen, vielen Dank!« Aber er drehte sich nicht um. So bekam ich nicht einmal sein Gesicht zu sehen.
Er muss einer von den Rittern gewesen sein, von denen grandma gesprochen hatte. Wo er jetzt wohl ist?, frage ich mich, während ich allein in meinem Hotelbett liege.
36
T ageslicht fällt durch mein Fenster, ein blaugrauer Schleier schiebt sich über die Blumen auf der Wand und schwebt verstohlen auf mich zu. Es ist Montagmorgen.
Mein Herz ist schwer. Trotzdem stehe ich auf. Es gibt ein paar Dinge in dieser Welt, Annie MacIntyre, denen man sich einfach stellen muss. Also wandere ich die Treppe hinunter bis ins Erdgeschoss und nehme den Schlüssel zum Badezimmer vom Brett hinter dem Rezeptionstresen. Ich rieche Kaffee. Mir knurrt der Magen. Ich bin schwach vor Hunger, vor Müdigkeit. Zum Duschen muss ich wieder in den ersten Stock hinauf. Ich habe vergessen, um ein Handtuch zu bitten, also trockne ich mich mit meinem Nachthemd ab. Ich bin aus der Übung, glaube ich. Jetzt muss ich den Schlüssel erst wieder zurück zum Empfang bringen, bevor ich dann in den vierten Stock hinaufsteige, um mich in meinem Zimmer richtig anzuziehen. Es ist einfach zu anstrengend, so weit in der Zeit zurückzugehen. ich bin bereits auf der Talsohle angelangt, falle aber immer noch tiefer.
Um sieben Uhr sitze ich am Fenster im Frühstücksraum, ganz verrückt nach Madames Kaffee und ihren Croissants. Ich will einfach essen und nicht mehr nachdenken. Mit einem vollen Tablett erscheint sie aus der Küche und lächelt mir freundlich zu. Ich mag Madame, stelle ich fest, trotz des Make-ups. Sie gießt dampfend heißen Kaffee in meine Schale, dann schaumige Milch. Sie erinnert sich noch, wie ich es gern habe. Ich erkenne ihr Parfüm - Arpège, da bin ich mir ganz sicher. Es erinnert mich an meine Großmutter. Ich möchte Madame in die Arme nehmen, tue es aber nicht. Stattdessen erwidere ich ihr Lächeln und bedanke mich überschwänglich. Sie hat mir zwei Croissants gegeben. »Eins extra«, sagt sie und kneift mich in die Wange, weil ich so mager und so blass aussehe: »Vous êtes trop pâle, ma chérie.«
In einem weißen Töpfchen mit Deckel serviert Madame mir Rhabarbermarmelade, faite maison, hausgemacht, erklärt sie mir. Davon streiche ich mir reichlich auf mein Croissant und beiße ab, während sie mit ihrem leeren Tablett geschäftig in die Küche eilt. In der Ecke gegenüber sitzt ein Mann. Er hat sich in Schale geworfen, aber als er sein zu stark gewachstes Haar glatt streicht, sieht man ihm an, dass er sich in Anzug und Krawatte unwohl fühlt. Offensichtlich ist er geschäftlich hier. Leicht schielend, mit eng zusammenstehenden Augen über einer sehr langen Nase beobachtet er, wie ich mir mit einer Serviette die Marmelade aus den Mundwinkeln wische. Er lächelt nicht. Ob er wohl neidisch ist, weil Madame ihm nur ein Croissant aufgetischt hat? Ich beiße wieder ab, dann noch einmal. Er wendet sich ab.
Mein Blutzuckerspiegel steigt an wie die Kugel im Hauden-Lukas. Und ich denke an Charlie, wie er morgens aufsteht, schlecht gelaunt und voller Widerspruchsgeist, der Miesepeter in Person, bis er seine Weet-Bix kriegt. Erst wenn er von den Getreidekeksen fünf bissen intus hat, findet plötzlich die Verwandlung statt. Das ist jedes mal wieder eindrucksvoll - wie bei Dr. Jekyll und Mr Hyde.
Unwillkürlich schlage ich die Hand vor den Mund. Eine Welle der Übelkeit durchflutet mich, wenn ich an meinen Sohn denke. Charlie! Was ich jetzt für sein knurriges kleines Morgengesicht geben würde! Ich bemühe mich verzweifelt, nicht wieder loszuheulen, halte den Atem an und unterdrücke ein Stöhnen, das aus mir hervorzubrechen droht. Der Geschäftsmann wirft mir einen schielenden Blick zu. Er tut so, als merke er nichts.
Ich kann nicht zur Arbeit gehen. Ich kann mich nicht mit dem Gedanken anfreunden, gleich als Erstes Carlo zu sehen. Das Bild von seiner Gestalt im Rahmen der Badezimmertür verfolgt mich. Und natürlich wird auch Beattie da sein.
Ich rufe vom Hotel aus an. Madame hat mich nach draußen durchgestellt, und so stehe ich in der kleinen Telefonzelle am Fuß der Treppe, und sie lächelt mir von ihrem Tresen aus zu. Die Schneekönigin nimmt ab. Ich teile ihr mit, dass ich nicht kommen kann. Dieses Mal nenne ich keinen Grund - ich kann einfach nicht kommen. Am anderen Ende der Leitung herrscht einen
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