Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
Hand auf meiner Wange, eine kurze, wortlose Geste, als sei er tief bewegt - ein geübter Spieler. Er hakt mich unter und führt mich in eine Ecke seines Büros, die wie die Ausstellungsfläche eines exklusiven Innenarchitekten wirkt: ein Sofa von Brunati, rechts und links davon je eine Leuchte von Tolomeo und gegenüber zwei Clubsessel im Stil der dreißiger Jahre. In der Mitte, auf einem Couchtisch aus Glas, steht ein luxuriöses Blumenarrangement - wie aus Elle Décor. Ich wähle einen Sessel, obwohl ich das Gefühl habe, dass Carlo mich eher in Richtung Brunati steuert. Als ich in das weiche Leder sinke, zieht er den anderen Sessel näher heran.
Er setzt sich, rückt aber so dicht heran, dass unsere Knie sich berühren.»So, Anna ... Was für eine wunderbare Überraschung!«
Ich warte darauf, dass er mich fragt. Und das tut er auch.
»Aber sag mal, was führt dich zu mir?« Mit einer ausholenden Armbewegung deutet er auf den Raum. »In mein Büro? Das Vergnügen habe ich ja noch nie gehabt!«
Ich frage mich, ob es tatsächlich ein Vergnügen für ihn ist, denn es stimmt, dass ich mich bisher nicht dorthin getraut habe. Wir haben uns ausschließlich an den von ihm bestimmten Orten getroffen, und zwar dann, wenn er es für richtig hielt, wenn es ihm gerade passte, und das war nie in seinem Büro. In stillschweigendem Einvernehmen hatte ich mich bei unserer Affäre immer ganz nach ihm gerichtet. ich war die perfekte Geliebte.
»Du darfst ihnen nie das Gefühl geben, dass du ihnen sicher bist«, hatte Grandma gesagt. Doch, genau das Gefühl hatte Carlo - aber damit ist jetzt Schluss. Es ist Zeit, dass ich meine Karten ausspiele.
Ich greife in meine Handtasche. »Ich bin hier, weil ich dich um eine Stelle bitten möchte. Und weil ich dir das hier zurückgeben will, Carlo.«
Er beobachtet mich, ist erst mal unsicher. Aber als ich die goldene Schachtel vor ihm auf den Tisch lege, schüttelt er den Kopf. »Nein, Anna, ich möchte, dass du sie behältst - als Geschenk.«
»Tut mir leid, Carlo.« Meine Stimme ist fest. »Aber ich will sie nicht haben.«
Er lächelt - sein altes Alberne-seltsame-Anna -Lächeln. »Ach, Anna ! Warum denn nicht?«
Da ist es wieder - sein verführerisches, schönes Lächeln, das sein ganzes Gesicht leuchten lässt. Und schon möchte ich wieder die alte, alberne, seltsame Anna sein und etwas sagen, etwas tun, das ihm Freude macht, das sein Interesse weckt, und wenn auch nur, um ihn sagen zu hören: »Wirklich, Anna?«
Aber ich schüttle den Kopf. »Du solltest sie Beattie schenken, Carlo.«
Da entdecke ich ein Flackern in seinen Augen. »Beattie?«
Ich nicke. »Beattie.«
»Aha ...« Und sein schönes Lächeln verschwindet.
Damit hat er überhaupt nicht gerechnet. Das ist gegen die Spielregeln. Es kommt mir vor, als wäre eine Maske gefallen. Das Verspielte in seinen dunklen Augen ist wie ausgelöscht. Er lehnt sich zurück, legt die Hände auf die Armlehnen des Sessels und trommelt mit den Fingern auf das weiche Leder.
»Ich hatte mich schon gefragt - als du heute nicht gekommen bist ... Anna, es tut mir so leid. Ich habe dir wehgetan, glaube ich.«
Ich bin überrascht, überwältigt von seiner Aufrichtigkeit. Das hatte ich nicht erwartet - dieses rasche Geständnis und seine Entschuldigung. Mit seiner Ehrlichkeit hat er mich genauso überrumpelt wie ich ihn mit meinem unvermuteten Erscheinen.
Plötzlich beugt er sich wieder vor und hebt die Hand zu meinem Gesicht - eine Liebkosung. »Ich bin ein alter Esel, Anna.«
Seine warme Hand streichelt über meine Wange, seine Stimme ist sanft. Ich spüre, wie meine unterschwelligen Gefühle sich melden, wie verräterische Tränen aufsteigen. Er ist nicht der einzige Esel hier, denke ich. Denn jetzt verstehe ich es - ja, als ich ihm in die Augen sehe, als ich prüfend sein Gesicht betrachte, wird mir endlich klar, was mich anfangs so verlockt hat, warum ich mich vor langer Zeit in ihn verknallt habe - was es mit diesem undefinierbaren Etwas, dem Zauber dieses Mannes auf sich hat. Es war nicht sein Hang, über die Stränge zu schlagen, nein, überhaupt nicht. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Mir ist, als sähe ich ihn zum ersten Mal - das dunkle Haar, die Augen, das sanfte Lächeln.
Ich war auf die andere Seite der Erde geflohen, war vor meiner Mutter, vor dem Tod meiner Großmutter davongelaufen und hatte genau das gesucht, wovor meine Mutter mich gewarnt hatte. Und ich hatte mich in diesen viel älteren Mann
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