Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman
elfenbeinfarbene Maske verwandelt. Meine Augenlider sind satt pflaumenbraun, meine Wangen tragen perfekte rosa Kreise, und meine Wimpern sind pechschwarz. Entzückt lächle ich meinem vierjährigen Ich im Spiegel zu. Ich bin schön - ich bin meine Mutter.
Aber dann höre ich Geräusche, Absätze klackern im Flur - so schnell, dass es nicht Grandma sein kann, denn sie schlummerte auf der Couch, als ich mich ins Bad schlich. Also ist Mummy früher von der Arbeit zurückgekommen. Mit Herzklopfen steige ich von meinem Hocker hinunter, so schnell ich kann. Dabei stoße ich mit den Händen gegen die offenen Tiegel und Puderdosen, dann kippt der Hocker unter mir Weg, und ich plumpse auf den Boden. Ein dumpfes Krachen hallt in meinen Ohren, als ich mit dem Kopf auf die Fliesen aufschlage, Glasscherben knirschen.
Finsternis.
Zuerst bemerke ich ihre Schuhe. Unter den Sohlen zersplittert das Glas, als sie mir unter die Arme greift, mich hochhebt und an sich drückt. Ihre Hand berührt meinen Hinterkopf - die klebrige Nässe dort. Ihr Schrei. Aber ich kann die Augen nicht öffnen, um ihr zu sagen, dass sie mich anschauen soll - um sie zu fragen, ob sie mein Gesicht schön findet. Sie murmelt mir ins Ohr, während sie mich schaukelt: »Meine dumme kleine Annie, mein kleines Dummerchen.« Ihre nasse Wange an meiner. Ich möchte ihr sagen, dass sie aufpassen soll, damit sie die Schminke nicht verschmiert.
Ich höre Grandmas Stimme. »Sie gleicht dir wie ein Ei dem anderen, Elsie.«
»Nein, Mutter. das werde ich niemals zulassen.«
Manchmal denke ich an diese Szene, wenn ich plötzlich merke, dass ich diese seltsame erhabene Linie an meinem Hinterkopf reibe - die Stelle, wo ich genäht werden musste, was meiner Mutter zufolge nie geschehen ist. Und auch jetzt muss ich daran denken, denn sie sagt gerade zu mir: »Mache nicht den gleichen Fehler wie ich, Annie! Ich hätte ihm zuhören sollen. Ich hätte mir erklären lassen sollen, was wirklich passiert war. Ich hätte ihm verzeihen sollen.«
Aber ich bin enttäuscht - enttäuscht, weil meine Mutter immer noch mit der Lüge lebt, dass mein Vater ein guter Mann war. Dabei hat er ihr so viel Schmerz zugefügt, und weil sie ihn verloren hat, hat sie ihr Herz hart gemacht gegen das Leben und gegen mich.
44
S i vous marchez dans les pas de votre mère, attention.
Wenn Sie in die Fußstapfen Ihrer Mutter treten, dann hüten Sie sich. Mittlerweile verfolgen diese Worte mich.
Ich durchsuche mein Zimmer, meine Tasche, kremple meine Brieftasche um. Wo kann er nur hingeraten sein, der Zettel? ich habe ihn aufbewahrt, als witziges Andenken an unsere unverbrüchliche Freundschaft. Wir waren uns so nah, Beattie und ich, selbst was das Gewicht anging, auch da unterschieden wir uns gerade mal um dreihundert Gramm. ich hatte den Zettel unter meine Kreditkarten geschoben, hatte ihn sicher in meiner Brieftasche verstaut und viele Jahre darin aufbewahrt, sodass er unter dem Leder ausfranste und lappig wurde.
Aber jetzt ist er einfach nicht mehr da. Das verstehe ich nicht. ich spreche die französischen Worte laut aus, wiederhole sie immer wieder, als hülfe mir das, ihren Sinn zu erkennen, den Satz zu beenden oder einfach nur diesen blöden Zettel zu finden. Aber es nutzt nichts. Schließlich gehe ich ins Bett. Doch ich kann nicht schlafen. Um vier Uhr morgens kommt mir eine Idee: ich werde zu der Apotheke gehen.
Ich muss es wissen.
Ich nehme die Metro und steige an der Station Châtelet in Richtung Gare Saint-Lazare um. Nervös schaue ich mich in dem überfüllten wagen um, denn es könnte sein, dass ich hier Beattie sehe mit ihrem locker aufgesteckten roten Haar und den grünen Augen, aus denen sie mich misstrauisch beobachtet.
Es ist noch früh, zehn vor acht an einem Freitagmorgen, der für April besonders kalt ist. Eigentlich müsste ich genug Zeit haben, um diese Sache zu erledigen und es dann bis neun Uhr zur Arbeit zu schaffen, auch wenn ich zu Moratel in die andere Richtung muss. Ich bete darum, dass Beattie nicht um acht anfängt.
Ich trete auf die Cour de Rome hinaus, gehe rasch an der riesigen Skulptur L'Heure de Tous vorbei, dieser Säule aus Uhren in schwarzen Gehäusen, die wie Autoreifen mitten auf dem Platz übereinandergetürmt sind. Ich erreiche das Café und schaue im Vorbeiflitzen hinein, verhuscht wie ein Kaninchen. Drüben an der Bar die vertrauten Gesichter, aber nein, Beattie ist nicht darunter. Gut. Allerdings hat der Barmann mich entdeckt. Er winkt, aber ich
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