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Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman

Titel: Kostbar wie ein Tag mit dir - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Fraser
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hartnäckige Überzeugung im tiefsten Herzen hatte mir weismachen wollen, dass es Märchen und Happyends wirklich gibt. Ich hatte geglaubt, nach all dieser Zeit würde Mummys weiche Seite - Norma Jean - endlich wieder zum Vorschein kommen, ausgelöst durch den Tod ihrer Mutter. Ich hatte gehofft, dass sie mir bei Grandmas Trauerfeier gestehen würde: »Annie, du hast mir gefehlt.« Dann hätte ich ihr ins Gesicht geschaut und dort ihre Angst entdeckt, die gleiche Angst, die mich quälte: dass wir uns jetzt, nach Grandmas Tod, verlieren könnten, wenn wir nicht versuchten, Frieden zu schließen. Ich war nämlich wirklich überzeugt, dass meine Mutter nicht immer so kalt und unzugänglich gewesen war. Daher hatte ich geplant, ihr auf der Trauerfeier zu sagen, dass sie mir auch gefehlt hatte. Doch Mummy hatte ihr Stichwort verpasst, und so hatte ich ebenfalls geschwiegen.
    Erst als ich nach siebzehntausend Kilometern Flugstrecke in Paris eingetroffen und im Hotel vier Treppen hochgestiegen war, traf mich die Erkenntnis mit voller Wucht: Ich hatte eine Ungeheuerlichkeit begangen.
    Ich hatte Grandmas letzten Wunsch nicht erfüllt.
    Ich erinnere mich, dass meine Mutter mich einmal gefragt hat: »Was willst du denn von mir, Annie - eine Mama wie in Vilma und King?« Diese alte Schwarzweiß-Serie hatte ich immer nach der Schule geguckt, um Punkt vier. Jeden Tag hatte ich zugeschaut, wie Vilma nach Hause kam, wo Milch und Kekse bereits auf dem Küchentisch standen und ihre stets geduldige, rehäugige Mutter mit der leisen Stimme sie schon erwartete - sie war einfach immer für ihr Töchterchen da. Martha Brown war tatsächlich eine ganz besondere Mutter. Doch, sie war genau die Mutter, die ich mir wünschte. Selbst jetzt noch. »Ja, Vilma, mein liebes Kind ...«
    Jetzt stehe ich hier in Madames Telefonzelle und umklammere den Hörer. Ich spüre die winzigen Löcher, das Muster, das sich in meine Haut einprägt, während meine Hand das Plastik umschließt. Ich könnte einfach auflegen, denke ich, und alles so lassen wie bisher.
    »Du wolltest ja nicht mal mit deiner eigenen Mutter reden«, hatte Marc gesagt.
    Das ist wahr. Ich hatte sie nicht angerufen, hatte ihr weder von Marc noch von Charlie erzählt, weder dass ich geheiratet hatte, noch dass ich schwanger war, und auch nicht, dass ich ... einen kleinen Jungen zur Welt gebracht hatte.
    Du hast keine Familie gebraucht, Annie. Du warst so vollständig.
    Wirklich? Und was bedeutet dann dieses große, klaffende Loch, diese Leere in mir? Warum weine ich ins Telefon, warum schluchze ich wie ein verlassenes Kind? Meine Mutter am anderen Ende hört mir schweigend zu.
    Und dann, bevor ich selbst weiß, was ich tun werde, bevor ich auch nur erneut Atem hole, sage ich es.
    »Ich bin schwanger, Mummy.«
    Der Satz verfliegt in der dämmrigen Stille der Telefonkabine und ist fort - wie eine überstürzt abgeschickte E-Mail, die ich nicht zurückholen kann. Nein, ich kann den Satz nicht mehr rückgängig machen. Sie hat ihn empfangen - jetzt weiß sie es. Ich bin schwanger. Voilà!
    Warum bloß bin ich so unglaublich erleichtert? Als wäre ich endlich aus dieser Flut von Emotionen aufgetaucht, um in langen Zügen einzuatmen ...
    »Aber warum weinst du denn dann, Annie?«, fragt meine Mutter.
    Dabei weiß sie die Antwort auf diese Frage längst, denn sie kennt die Geschichte gut - es ist ihre eigene. Unsere Geschichte. Sie handelt von einem jungen Mädchen, einem albernen jungen Ding, das an die Liebe glaubte, an die große Liebe. Aber, wie Mummy mir immer erklärt hatte, es gibt keine Märchen.
    Und da liegt das Problem.
 
    Ich habe eine vage Erinnerung, so verschwommen, dass ich mich früher oft gefragt habe, ob es nicht bloß ein Traum war. Auch meine Mutter hat mir schon vor langer Zeit versichert, so etwas sei nie passiert.
    Ich stehe auf einem Hocker im Badezimmer und beuge mich über das Waschbecken, um näher am Spiegel zu sein. ich stehe etwas wacklig, denn ich habe spitze schwarze Pumps von meiner Mutter angezogen. Ganz hinten im Kleiderschrank habe ich sie gefunden - Prinzessinnenschuhe, die ich noch nie an ihr gesehen habe. Ich trage purpurroten Lippenstift auf. Satt und üppig streiche ich mir die Farbe auf die Lippen. Meine kleinen Finger tauchen in ein Töpfchen mit Creme; sie duftet nach Vanille und ist ölig und dick wie verklumpte Sahne. Ich verteile sie reichlich auf Stirn, Wangen und Kinn und streiche sie sorgfältig glatt. Mein Gesicht hat sich in eine wunderschöne

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