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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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Pilar sank neben ihm aufs Polster, ohne ihn anzuschauen. Sie kam sich vor wie in einem schlimmen Traum, alles erschien unwirklich, obwohl sie Menschen und Dinge klar und deutlich vor sich sah. Dass so etwas einfach geschehen konnte! Mitten unter all den Leuten! Wer brachte das fertig? Wer war so grausam? So skrupellos, so risikobereit? Mit einem Messer! Ihr schwindelte bei dem Gedanken, dass dieses Ungeheuer womöglich schon an ihr vorbeigegangen war, dass es sie kannte, vielleicht sogar in ihrer Nähe lebte. Frau Holzbeisser wohnte nicht weit von ihr in Ückesdorf, das wusste Pilar von Lukas. Im Sommer drangen oft ihre virtuos gespielten Klaviersonaten durch das Buschwerk der Gärten herüber, und seit die Bäume kahl waren, sah man von der Terrasse aus einen Teil von Frau Holzbeissers Balkon. Lukas hatte schon die Befürchtung geäußert, die Lehrerin könnte von dort mit dem Fernglas in sein Bett spähen. Über dem barock geschwungenen Metallgeländer hingen jeden Samstagmorgen schneeweiße Bettdecken und Kopfkissen zum Lüften. Auch heute Morgen.
    Der Opel verließ Röttgen und fuhr an der Abzweigung nach Ückesdorf vorbei. Pilar fiel ein, dass ihr Mann Richard inzwischen zu Hause sein müsste. Über die Autobahn, die Reuterstraße und die Südbrücke erreichten sie bald die andere Rheinseite und das Polizeipräsidium in der Königswinterer Straße. Große Glasflächen, hinter denen teils dunkle, teils hell erleuchtete Räume lagen, Spiegelungen, die die Lichter des Gebäudes verdoppelten und verdreifachten – das war Pilars Eindruck, als sie sich dem Eingang näherten. Bei Sonnenschein muss es noch schöner aussehen, von Licht durchflutet, dachte sie, als sie neben Freddy die Treppe hinaufging und in den Innenhof hinabblickte.
    Im ersten Stock empfingen sie zwei weitere Beamte. Pilar wurde in einen anderen Raum geführt als Freddy.
    »Es ist nichts Besonderes, dass wir Sie hierhergebeten haben«, sagte Kommissarin Ahrbrück, als Pilar ihr gegenübersaß. »Meine Kollegen und ich werden heute Nacht noch weitere Zeugen vernehmen. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
    Gebeten ist gut, dachte Pilar. Und was kann ich schon zur Aufklärung beitragen? Meine Schusseligkeit hat zum Mord geführt, sonst fällt mir nichts ein. Doch die Hauptkommissarin befragte sie zur Theatergruppe und den genauen Abläufen vor Beginn der Aufführung.
    Nachdem Pilar ihre Aussage unterschrieben hatte, bestellte die Kommissarin ihr ein Taxi, das sie zurück zum Gemeindehaus bringen sollte, wo ihr Auto stand. Von Freddy war auf dem Flur und der Treppe nichts zu sehen, offenbar wurde er noch vernommen.
    Der Taxifahrer war einer von der schweigsamen Sorte. Pilar war dankbar dafür. Kein echter Bonner, stellte sie fest, sonst hätte er ihr nach kurzer Einleitung eröffnet, was er von der Polizei halte oder dass er im selben Karnevalsverein sei wie irgendein Kommissar, und noch bevor sie über den Rhein gewesen wären, hätte er sein erstes Vezällche über die Bonner Polizei beendet gehabt.
    Als das Taxi in Röttgen von der Reichsstraße abbog, kam ihnen ein Bestattungswagen entgegen.
    »Ist was passiert?«, fragte der Fahrer mit leichtem Akzent, den Pilar für russisch hielt. »Schlimm? Tot?«
    »Ja«, sagte Pilar und war froh, dass ihm das genügte.
    Der Parkplatz und das Gelände vor dem hell erleuchteten Gemeindehaus hatten sich inzwischen geleert. Vor dem Eingang standen zwei zivile Autos und ein Fahrzeug in der Größe eines Lieferwagens. Vielleicht waren die Kriminaltechniker noch nicht fertig. Wie konnten sie überhaupt Spuren des Täters sichern, wenn so viele Menschen in dem Raum gewesen waren?
    Pilar setzte ihren Fiesta zurück und verließ den Parkplatz. So ähnlich mochte Frau Holzbeisser vor ein paar Stunden aus ihrer Garage gefahren sein. Ohne zu ahnen, dass es das letzte Mal war.

DREI STUNDEN DANACH
    Liebe Nadja,
    es stimmt, ich bin verwirrt. Aber lass die Zweifel schweigen, bitte. Bedenke, dass mein Vorgehen so ungewöhnlich nicht war. Es gibt genug Beispiele. Erinnere Dich daran, dass Urgroßvater Karl dank eines ähnlichen Vorgehens bis ans Ende seiner Tage glücklich war! Bei ihm war es eine Axt, und bei mir – nun, es sollte eine Spitzhacke sein.
    Lange war ich davor zurückgescheut, meinen Entschluss umzusetzen, das weißt Du. Doch letzte Woche fand sich überraschend eine Möglichkeit, als ich nachts durch die schlecht beleuchteten Wohnstraßen des schläfrigen Viertels ging, in dem er wohnt. Nicht weit vom Friedhof

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