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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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Pilar?« Dirk Holzbeisser wirkte ungeduldig. »Dass Nadja im Bett war, ist offensichtlich.«
    »Ich gehe früh zu Bett, ich brauche meinen Schlaf.« Frau Fischmann gähnte und fuhr sich mit der Hand durch das zerwuschelte Haar. Unter dem Negligé schauten ein bodenlanges Nachthemd und die Spitzen roter Samtpantöffelchen hervor. Merkwürdig war nur, dass auf ihren Wangen Spuren von bräunlichem Make-up zu sehen war. Doch das Abschminken konnte eine müde Frau ja mal vergessen.
    Der seidige Ärmel zog die Wohnungstür auf, der Ellbogen streifte Pilars linke Schulter. Der Schmerz ließ sie zusammenzucken.
    »Oh, Verzeihung. Habe ich Ihnen wehgetan?«
    Pilar war nicht in der Lage zu antworten. Sie hatte etwas entdeckt, das ihr die Kehle zuschnürte, sie schwankte absichtlich, um unauffällig eine Hand nach einer schwarzen Fleecejacke an der Garderobe auszustrecken, als müsste sie sich festhalten. Am Ärmel der Jacke hing ein einzelnes Katzenschnurrhaar. Wie einen feinen Nylonfaden fühlte sie es zwischen den Fingerspitzen. Sie schob es in ihre Hosentasche. In ihrem Fotoalbum zu Hause befand sich noch so ein Haar – die eine Hälfte weiß, die andere schwarz. Solche Schnurrhaare hatte Schiller.
    »Gute Nacht«, sagte Pilar und trat ins Treppenhaus.
    Holzbeisser und Fischmann erwiderten nichts. Sie sahen einander an, Frau Fischmann mit hochgezogenen Augenbrauen, Dirk Holzbeisser mit gerunzelter Stirn.

ZWANZIG
    Als Sarah in Worms auf die Straße trat, waren die anderen aus dem Kurs noch in der Kneipe. Die meisten gingen ihr heute tierisch auf den Zeiger. Lukas war ganz okay, aber der Rest … Denen war der Kirchenkram nicht viel besser bekommen als ihr. Zu viele Sarkophage, zu viele Grabplatten, Knochen und Schädel, brrrr. Früher war ihr das nicht so aufgefallen, dass Geschichte vor allem bedeutete, sich mit Toten zu befassen.
    Sarah zog ihr Handy aus der Tasche und klickte ihr Adressbuch durch. Dieses verflixte Bedürfnis zu reden! Sie war es leid, immer alles in sich hineinzufressen, und sie konnte sich nicht abgewöhnen, die Sache dauernd in ihrem Kopf hin und her zu wälzen, es war wie eine Sucht.
    Zu Anna hatte sie seit letztem Freitag überhaupt keinen Draht mehr. Am Sonntag hatten sie sich noch einmal kurz gesehen, und Anna hatte ihr die Schuhe gegeben – draußen an der Haustür. Noch bevor Sarah den Mund aufmachen konnte, um sich zu bedanken, erklärte Anna, sie müsste Chemie pauken und hätte keine Zeit. Sarah versuchte, noch ein paar Worte an sie zu richten, aber gleichzeitig brüllte Annas Vater von der Treppe her: »Heiz nicht die Straße, Anna, quatsch nicht dumm rum, mach die Tür zu!« Da war dann alles zu spät gewesen.
    Sarah war am Ende des Adressbuchs angelangt. Der letzte Eintrag war »Yannick«. Ob er noch wach war? Es war fast zwei Uhr. Seit Samstagnacht hatte sie oft an ihn denken müssen und ein bisschen gehofft, er würde sich mal melden. Erst am Montag war ihr aufgefallen, dass er nicht gefragt hatte, wie es am Weiher weitergegangen war. Hatte er gemerkt, dass sie damit Probleme hatte? Wer in Gesichtern lesen konnte, der fühlte so was.
    Sie drückte auf »Anrufen«. Yannick war sofort dran, klang aber schläfrig.
    »Hey, bist du im Bett?«, fragte Sarah.
    »Joah«, gähnte er.
    »Morgen bin ich wieder in Bonn. Hast du Zeit?«
    »Nee, morgen nicht.«
    »Schade.«
    »Und sonst? Alles super?«
    »Ist cool hier.«
    »Nicht langweilig?«
    »Kein bisschen.«
    »Und warum rufst du an?«
    Es lief nicht halb so schön, wie Sarah es sich vorher ausgemalt hatte. Ihr kamen Zweifel, ob er sich überhaupt freute, dass sie anrief.
    »Ich hab das Ende nicht erzählt, du weißt schon.«
    »Ende von was?«
    »Kurfürstenweiher.«
    »Stimmt wohl.«
    »Soll ich es dir jetzt erzählen?«
    »Von mir aus.« Das Bett knarrte. Offenbar hatte Yannick sich aufgesetzt oder anders hingelegt. »Ist okay, meine ich.«
    Okay? Das war alles? Aber gut, er war müde, sie hatte ihn geweckt, da durfte sie das nicht so eng sehen. Wenn sie nicht durchdrehen wollte, musste sie die Sache jetzt loswerden, und bei wem sonst, wenn nicht bei ihm?
    »Wir haben nicht die Polizei gerufen«, sagte sie.
    »Hab mir so was gedacht.«
    »Wieso?«
    »Nur so.«
    Warum ist er heute so komisch?, überlegte sie. Aber schon im nächsten Moment war sie in Gedanken ganz woanders. Sie stand am Ufer dieses dunklen, schimmernden Weihers mitten im Wald.
    Anna, Vivi, Katie, Tommy, Max, Kevin und sie selbst. Die Sommernacht ist schwül, aber vor allem

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