Kottenforst
schnellstens loswerden!«
Er warf den Kopf zurück, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen. »Du weißt nicht, wovon du redest. Sie und ich, das hat nicht gepasst. Ich habe es zu spät erkannt. Da war sie schon dabei, mir das letzte Stückchen Eigenleben abzutrotzen.«
»Was meinst du mit Eigenleben?«, fragte Pilar kühl. Sie dachte an leicht bekleidete Damen, die im rötlichen Licht eines Appartements auf ihn warteten, an Männerabende in Kneipen, wo er alle unter den Tisch trank.
»Nadja konnte nicht loslassen«, erwiderte er. »Nicht für Stunden, nicht für Minuten. In den letzten Monaten unserer Beziehung rief sie mich zwanzigmal am Tag im Büro an, und wenn ich mich verleugnen ließ, kreuzte sie eine Stunde später in der Firma auf, wo die Kollegen schon Witze machten. Selbst vor Konferenzen und Geschäftsessen hat sie nicht haltgemacht und mich mit zitternder Stimme verfolgt: Liebling, wie geht es dir? «
Pilar zuckte zusammen, so scharf klang die nachgeäffte Frauenstimme. So was gibt es, ging ihr durch den Kopf. Nach dem, was Richy ihr von einer seiner Verflossenen erzählt hatte, war die wohl auch von der Art gewesen. Aber sicher übertrieb Dirk mächtig.
»War ich mal ohne sie bei Freunden, kam ihr Anruf alle Viertelstunde«, fuhr er fort, »und wenn ich mit dem Rennrad unterwegs war, lauerte sie mir mit dem Auto irgendwo auf, um mir zu sagen, sie sterbe vor Sorge um mich, ich dürfe sie nicht länger alleinlassen. Das hält keiner aus.«
»Und dann hast du sie für immer alleingelassen.«
»Schon bald danach ging es wieder bergauf mit ihr. Kurz nach meiner Hochzeit hat sie sich mit Fischmann getröstet.«
»Der sie ebenfalls verlassen hat.«
»Als wir uns wiedersahen, hatte sie auch das überwunden. Ihr Frauen seid erstaunlich darin. Neue Haarfarbe, neue Frisur, neue Kleider, und es geht euch wieder gut.«
»So einfach ist das?« Pilar kickte mit der Schuhspitze ein Steinchen weg. »Glaubst du das wirklich?«
Dirk Holzbeisser wandte sich um, ohne sich zu verabschieden.
Pilar sah ihm noch einen Augenblick nach, dann ging sie zu ihrem Haus und schloss die Tür auf. Sie und ich, das hat nicht gepasst. Ihrer Beobachtung nach sahen verlassene Frauen das meistens anders. Hatte Nadja Fischmann ihren Dirk mit aller Gewalt zurückhaben wollen und deshalb seine Frau erstochen? Hatte sie Katie, die sie aus dem Laden kannte, überredet, ihr die Mordwaffe zu bringen? Beides konnte Pilar sich nur mit großer Mühe vorstellen. Und dass Nadja Fischmann sich, mit Männerparfum getarnt, ins Haus geschlichen hatte, um Pilar zu erschlagen, war gänzlich unvorstellbar. Pilar schüttelte unwillig den Kopf. Ihre Gedanken gerieten immer wieder auf Abwege.
Als sie die Diele betrat, kam Goethe ihr maunzend entgegen. Tock-tock. Tock-tock. Das Klopfen des Kragens auf den Fliesen hatte für sie mittlerweile etwas Beruhigendes an sich. Sie kraulte dem Kater den Nacken und fuhr mit dem Finger unter den Rand des Kunststoffkragens, der eng um den dünnen Hals lag. Sie erstickt ihre Männer , fiel ihr ein. Mit Liebe. Wie war das damals mit Richards Freundin gewesen, mit der er ihretwegen Schluss gemacht hatte? Pilar hatte die Frau nie kennengelernt. Doch in ihrer Erinnerung kamen jetzt Bruchstücke von Szenen hoch, die Richy ihr geschildert hatte, und sie waren dem, was Dirk erzählt hatte, recht ähnlich. Möglich, dass Dirk doch nicht übertrieben hatte, und – Pilar hatte plötzlich das Gefühl, dass alles um sie herum zu schwanken begann. Sie lief ins Wohnzimmer und wählte Richards Handynummer.
»Richy?«
»Pilar! Ist was passiert?«
»Ich will dich nur was fragen.«
»Mitten in der Nacht? Ich hab geschlafen.«
»Wie war das mit deiner festen Freundin, als du mich kennengelernt hast und wir zusammengeblieben sind?«
»Das ist ein Vierteljahrhundert her!«
»Wie hat sie reagiert?«
»Ach, ganz normal. Tränen, Szenen, Selbstmorddrohungen.«
Pilar hatte nur das Foto einer blonden Frau gesehen, die im Wind auf einer Klippe stand, die Augen mit der Hand abgeschirmt, die Haare vors Gesicht geweht, das weite Sommerkleid gebläht. Richy hatte das Foto zerrissen. Sie schreibe einen Liebesbrief nach dem anderen, hatte er erzählt. Den letzten Brief hatte er Pilar gezeigt, sie glaubte sich auch an einen Namen zu erinnern. Die Frau bettelte um ein Treffen, sie täte alles für ihn, gleichgültig, was er verlange – jedes Wort doppelt unterstrichen. Pilar war damals stolz auf ihren Sieg gewesen. Sie war zweiundzwanzig
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