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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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gelöst hatte und an ihrem Ärmel hängen geblieben war.
    Den Blick fest auf die verlassene Halfpipe gerichtet, ging Pilar unter der Autobahn hindurch. Tagsüber war hier immer Betrieb. Jetzt, bei Nacht, kam ihr die Halfpipe vor wie der ideale Ort für einen Hinterhalt.
    Selbst wenn das Schnurrhaar von Schiller stammte, überlegte Pilar weiter, war nicht auszuschließen, dass Frau Fischmann ihn irgendwann auf der Straße gestreichelt hatte. Er war nicht scheu gewesen und wäre nicht vor ihr weggerannt. An Fleecestoff hafteten Haare lange, es konnte Wochen her sein. Ihre Entdeckung bewies überhaupt nichts. Auch die Socken im Badezimmer besagten nichts. Wie oft hatten Pilars eigene Socken so ausgesehen, wenn sie bei nassem Wetter im Kottenforst spazieren gegangen war und die Schuhe nicht dicht gehalten hatten! Nein, ihr nächtlicher Besuch hatte nichts gebracht und war einfach nur peinlich gewesen.
    Die Unterführung hatte Pilar hinter sich. Über ihr spannte sich der sternenlose Himmel. Zu beiden Seiten des Wegs fuhr der Wind raschelnd durch schwarzes Gebüsch. Auf der Autobahn in ihrem Rücken donnerten einige Wagen vorbei. Pilar war sich nicht sicher, ob noch etwas anderes zu hören war. Ein paar Meter weiter war es deutlich: Hinter ihr waren Schritte. Sie wagte nicht, sich umzudrehen, beschleunigte aber ihr Tempo. Vor ihr tauchten die ersten Häuser von Ückesdorf auf und gaben ihr das Gefühl einer trügerischen Sicherheit. Alle Fenster waren geschlossen, niemand würde ihr Schreien bis ins Schlafzimmer hören.
    Die Schritte holten auf. Der Takt war seltsam. Und sie kannte ihn. Dirk Holzbeisser. Vertraut und doch fremd. Er hatte sie fast eingeholt.
    »Warte auf mich.« Er keuchte. »Um diese Zeit solltest du nicht allein gehen. Nicht weit von hier ist der Raubüberfall passiert.«
    Pilar fröstelte. In den Büschen neben ihr schien die Schwärze drohend und undurchdringlich. Auf der Straße war sie noch schutzloser als im eigenen Haus, wo man sie bereits angegriffen hatte. Der ganze schöne Wohnort hatte für sie etwas Düsteres bekommen.
    »Das Opfer hat mehr als fünfzig Jahre hier gewohnt«, sagte Holzbeisser, der nun neben Pilar ging. »Elke hat es in der Zeitung gelesen.«
    Pilar erinnerte sich an den Zeitungsartikel. Ein Akt von unvorstellbarer Brutalität , hieß es darin. Der an Brutalität schon bald übertroffen wurde von der Bluttat im Gemeindehaus …
    Sie hatten nur noch ein kurzes Stück zusammen zu gehen. Schon kam die Bushaltestelle in Sicht. Wenn Pilar die Frage, die in ihr brannte, nicht unverzüglich stellte, würde sie es später bereuen.
    »Dirk, seit wann kennst du Nadja Fischmann?«
    Er schwieg.
    »Seit wann, Dirk?«
    »Ist das wichtig?«
    »Bitte. Seit wann?«
    »Seit neun oder zehn Jahren. Vielleicht sind es auch mehr, ich müsste nachrechnen.«
    Zum Nachrechnen hatte er keine Lust, das konnte sie im Licht der Straßenlaternen erkennen, trotz der wechselnden Schatten auf seinem Gesicht.
    »Dirk …« Jetzt musste es endlich heraus. Sie waren vor Pilars Haus angekommen.
    »Gute Nacht, Pilar.«
    Der harsche Ton, mit dem er einen Schlusspunkt setzte, die Art, wie er sich umwandte und sich mit großen Schritten entfernte – das alles bestätigte sie darin, dass sie richtig vermutete. Sie eilte ihm hinterher.
    »Dirk! Seid ihr beide ein Paar gewesen?«
    Er drehte sich um. Verärgerung durchzuckte sein Gesicht, das die Laterne, unter der er stand, so gut beleuchtete, dass Pilar die Bartstoppeln an seinem Kinn erkennen konnte.
    »Wie kommst du darauf?«
    Mit dieser Frage hätte sie rechnen müssen. Unmöglich, ihm mit dem Bettzeug auf dem Balkon zu kommen, mit Veras Theorie von der eifersüchtigen Nebenbuhlerin oder mit der schmelzenden Stimme in der Sprechanlage.
    Er wandte sich wieder ab. Sie blieb stehen. Das war’s, sagte sie sich, er ist sauer.
    »Eine Zeit lang, ja«, hörte sie ihn in die andere Richtung murmeln. Er stand an der Ecke und zupfte an den Zweigen eines Strauchs. »Ungefähr fünf Jahre.«
    Pilar trat näher an ihn heran. »Warum seid ihr nicht zusammengeblieben – damals?«
    Eine kalte Windbö fegte um die Ecke. Pilar stellte ihren Kragen hoch. Der Deckel der Biotonne vor Ebels Haus klapperte. Es roch nach fauligem Gemüse.
    »Wie das so geht. Die Gefühle ändern sich, man stellt bei sich fest, dass es vorbei ist, und lernt eine andere kennen.«
    »Und die Frau, die man jahrelang geliebt hat, ist einem nur noch lästig.« Pilar legte Gift in ihre Stimme. »Man muss sie

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