Kottenforst
Hose, Bluse und Winterjacke und stieg zu den Kriminalkommissaren ins Auto, denselben grauen Opel, in dem sie am Premierensamstag neben Freddy gesessen hatte. Als der Wagen anfuhr, blickte sie aus dem Fenster. Ihr war, als sähe sie das Haus zum ersten Mal mit den Augen eines Fremden: Zu viele Büsche umgaben es, zu viele Möglichkeiten, sich unbemerkt in der Nähe aufzuhalten.
Vor dem Nachbarhaus stand Herr Winter im weißen Bademantel. Pilar meinte, auf seinem Gesicht ein genüssliches Grinsen zu erkennen. Er schien allmählich an der örtlichen Kriminalität Gefallen zu finden. Seine Frau trat in einem bodenlangen Nachthemd mit einer Pelzjacke darüber aus der Tür und reichte ihm lächelnd eine Tasse, aus der Dampf hochstieg. Pilar wandte den Blick ab, als der Wagen sie an den beiden vorübertrug. Sie fragte sich, was ihre Nachbarn vermuteten – sicher nicht das, was wirklich passiert war, aber bestimmt etwas, das ihre Vorurteile bestätigte.
Das Polizeipräsidium auf der anderen Rheinseite erreichten sie in ungefähr zwanzig Minuten. Der Bau mit dem vielen Glas und den spiegelnden Lichtern kam Pilar bereits vertraut vor. Im Vernehmungsraum im ersten Stock war es hell und warm. Kommissar Möller stellte eine dampfende Tasse Kaffee vor Pilar hin. Er setzte sich vor einen Monitor, der für ihn eine Nummer zu klein zu sein schien, ebenso wie der Stuhl. Während er den Computer hochfuhr, pulte er in seinem Ohr, betrachtete dann eingehend seine Fingernägel und schnipste irgendetwas auf den grauen Teppichboden.
Kommissarin Ahrbrück setzte sich Pilar gegenüber an den Tisch. Ihre hellen Augen wirkten vollkommen ausgeschlafen, und von den Ponyfransen ging ein angenehmer Duft aus. Während ich noch den Bettgeruch an mir habe, dachte Pilar. Sie fühlte sich nun in der Lage, den Kriminalbeamten nicht nur von dieser Nacht, sondern auch von dem Reitunfall, den aufgeschlitzten Reifen, dem Kasten auf der Terrasse sowie dem Tod der einen und der Verletzung der anderen Katze zu berichten.
Möglichst rasch das Türschloss austauschen, riet die Kommissarin. Sofort anrufen, wenn sie Verdächtiges bemerke, beim Notruf 110 sei der ganze Sachverhalt hinterlegt, sodass sie nicht viel erklären müsse.
»Rufen Sie zuerst uns an, nicht Ihren Mann«, sagte Möller. Ein breites Lächeln legte sich über sein Gesicht.
Nicht berechenbar verhalten, riet Ahrbrück weiter, nicht zur gewohnten Zeit das Haus verlassen, den Müll rausbringen oder Ähnliches. Nicht allein in den Garten gehen und auf keinen Fall im Wald joggen.
Als wenn sie zurzeit joggen könnte!
Selbstverständlich würde in unregelmäßigen Abständen eine Polizeistreife am Haus vorbeifahren, erklärte die Kommissarin. Trotzdem sei es sicherer, wenn Pilar sich eine Zeit lang woanders aufhalten würde, vor allem nachts. Ob sie große Angst habe? Wünsche sie einen Seelsorger? Andere Hilfen? Pilar verneinte diese Fragen und kam sich heroisch vor.
»Natürlich brauchen wir Ihren gelben Kasten für die Spurensicherung«, fügte Ahrbrück hinzu. »Wo, sagten Sie, steht er jetzt?«
»Ich weiß nicht«, musste Pilar zugeben. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Möller lautlos lachte. Eine weitere Kostprobe für das Chaos in ihrem Kopf, dachte er sicherlich.
»Fällt es Ihnen vielleicht noch ein?«, fragte die Kommissarin sanft und warf Möller zugleich einen Blick zu, der nach Zurechtweisung aussah.
Pilar war am Freitagabend im Dunklen noch einmal zu Schillers Grab gegangen und eine Weile draußen geblieben. Das Außenlicht war nicht eingeschaltet, doch erinnerte sie sich, das Schimmern des hellen Kunststoffs vor dem Zaun zu Winters Grundstück wahrgenommen zu haben. Sie hatte völlig vergessen, dass sie den Kasten so schnell wie möglich der Polizei zuführen musste. Zu viel war passiert, das sie aufgewühlt hatte.
»Ich glaube, er steht noch im Garten«, sagte Pilar kleinlaut.
»Dann kann ich mir vorstellen, wie der Täter an Ihren Hammer gelangt ist.« Kommissar Möller nickte Pilar zu und griff zum Telefon. Diesmal grinste er nicht. »Kein Problem. Die Kollegen können den Kasten mitbringen.«
»Er ist durch ziemlich viele Hände gegangen«, meinte Pilar schuldbewusst.
»Das ist normal, Frau Álvarez-Scholz.« Kommissarin Ahrbrück lächelte. »Der Einzige, der ihn mit Handschuhen angefasst hat, ist wahrscheinlich der Täter.«
AM ZEHNTEN TAG DANACH. MORGENS
Liebe Nadja!
Eine ungeheure Chance ist vertan. Nachts allein in ihrem Haus, gehandicapt durch ihre
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