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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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Wenn sie wach war, wollte sie den Blick ins Freie haben. Vielleicht war der Kerl noch zu sehen. Sie drückte sich gegen den Küchenschrank, um von draußen nicht bemerkt zu werden, denn die Laterne vor dem Haus beleuchtete auch das Fenster.
    Auf der Straße sah sie niemanden. Die Regentropfen an den Zweigen der Weide im Vorgarten schimmerten im Laternenlicht wie Hunderte von kleinen Glasknöpfen. Die Konturen der Häuserreihe gegenüber wirkten unscharf, wie mit Kreide gezeichnet. Es war nebelig. Pilar trat dichter ans Fenster. Unter dem Baum weiter rechts entfernte sich eine Person. Eine Frau in dunkler, weiter Kleidung, mit einem Hut auf dem Kopf. Obwohl ihre Statur groß und kaum zusammengefallen wirkte, musste sie recht alt sein. So wie sie die Straße hinuntertrottete, steif, hinkend und vornübergebeugt, hätte sie dringend einen Stock oder Rollator benötigt.
    Pilar trat vom Fenster zurück und drückte den danebenliegenden Lichtschalter. Nichts. Sie musste in den Keller hinuntergehen, zum Sicherungskasten. Sie erschauerte. Lieber nicht. Es konnte sich um zwei Kerle handeln, der andere versteckte sich womöglich im Keller. Die Vorstellung, dass noch jemand im Haus war und jeden Schritt verfolgte, den sie ahnungslos tat, erstickte jeden klaren Gedanken. Außer einem: Licht brauchte sie, einen Kerzenleuchter. Sie tastete im Küchenschrank herum, fand Streichhölzer und ging damit ins Wohnzimmer. Auch hier hatte sie die Rollläden nicht heruntergelassen, sodass es nicht ganz dunkel war. Der hohe Messingleuchter auf dem Klavier hob sich klar von der Wand ab.
    Als die Kerze brannte, erblickte sie ihr Handy auf dem Couchtisch. Sie wählte Richards Mobilnummer.
    »Mein Gott, Pilar«, meldete sich ihr Mann erschrocken. »Halb drei durch. Was ist los?«
    »Irgendwer hat den Strom ausgeschaltet und ist ins Schlafzimmer gekommen.«
    »Warum flüsterst du? Ist er noch da?«
    »Ich hoffe nicht.«
    »Wie sah er aus?«
    »Richy, es war stockfinster! Er hatte eine Axt.«
    »Woher weißt du das, wenn es finster war?«
    »Warte mal …« Mit dem Handy am Ohr ging sie hinüber ins Schlafzimmer.
    »Bist du noch dran? Pilar? Warum sagst du nichts?«
    Pilar stand mit der flackernden Kerze vor ihrem Bett und starrte auf den Boden. Die Kante des Bettrahmens wies eine breite Kerbe auf, in den Falten des verrutschten Bettvorlegers lagen Splitter aus hellem Holz. Dicht neben dem Nachttisch lag ein Hammer. Ihr Magen krampfte.
    »Richy«, rief sie. »Da liegt ein Hammer! Neben dem Bett!«
    »Hast du den liegen gelassen?«
    »Die Bettkante ist zersplittert! Begreifst du nicht?«
    »Pilar, ich hab fest geschlafen, ich kriege kaum die Augen auf.«
    »Es war ein Angriff!« Sie krächzte, weil ihre Stimme in eine ungewohnt hohe Tonlage geschnellt war. »Wenn ich im Bett gelegen hätte, sähe mein Kopf jetzt aus wie das Holz!«
    »Beruhige dich, Schatz«, brummelte er.
    »Ich wünsche mir einen großen schwarzen Höllenhund!«, rief sie aufgebracht, genau wissend, dass Richard nach den zwölf Jahren mit Paula keinen Hund mehr im Haus haben wollte. »Ich fahre morgen ins Tierheim.«
    »Hol dir lieber Nogger rüber. Sylvia hat sicher nichts dagegen.«
    »Nogger ist blind.«
    »Hauptsache, die Zähne sind in Ordnung.«
    »Richy, denk bitte nicht, ich hätte mir alles eingebildet. Der Hammer und die Splitter sind Beweis genug.«
    Pilar blickte auf den Holzboden neben den Fransen des Bettvorlegers. Sie kannte den Hammer. Es war ihr eigener. Oder vielmehr der ihrer Schwiegermutter, die großzügig genehmigt hatte, dass Pilar einen schwarzen Filzstift zur Hand nahm und den Holzstiel mit dem Wort »Theater« versah, damit das gute Stück aus dem Besitz ihres Schwiegervaters nicht mit fremdem Werkzeug verwechselt wurde. Sie erinnerte sich, dass Schillers kleiner Körper auf der Zange, dem Zollstock, der Schere und der Klebebandrolle gelegen hatte. Sie hatte nicht darauf geachtet, ob auch der Hammer im Kasten gewesen war. Möglich, dass er schon gefehlt hatte. Der Kerl, der ihr vor wenigen Minuten den Schädel hatte einschlagen wollen, konnte Schillers Mörder sein und ebenso gut der Mörder von Frau Holzbeisser.
    »Pilar? Bist du noch da?«
    »Das ist nicht irgendein Hammer, Richy. Es ist der aus dem gelben Handwerkskasten.«
    »Das ist unheimlich. Ruf die Polizei. Verlier keine Zeit.«
    »Ja«, seufzte Pilar. Und wieder bist du nicht da, wenn ich dich brauche, dachte sie, schluckte es aber herunter. Es war ja nicht zu ändern. Er konnte nicht die

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