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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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beide bereits über fünfzig waren und sie schon eine Ehe hinter sich hatte. Ihr Sohn ist vierundzwanzig.« Er hustete wieder.
    »Was heißt kein Musterehemann ?«
    »Ich brauche immer etwas Freiheit.«
    Pilar spürte ein heißes Kribbeln in sich aufsteigen. Jetzt bloß nicht unterbrechen und durch Fragen alles zunichtemachen. Meinte er Freiheit für eine andere? Er würde es ihr kaum sagen, wenn dem so war.
    »Ich habe mir zu viele Auszeiten genommen.« Der Seufzer schien tief aus seinem Innern zu kommen.
    »Auszeiten«, wiederholte Pilar monoton.
    Er blickte hinüber zu den Bücherregalen. »Für Gedrucktes. Als ob es wichtiger wäre als das Leben. Ich bin verrückt nach Büchern.«
    Es traf Pilar wie eine warme Woge: kein Verhältnis, keine Geliebte. So war das. Die Frage nach der alten Freundin war nicht mehr wichtig.
    »Was für Bücher?«
    »Alle, die gut sind. Bücher über Menschen. Ich habe spät angefangen, und es gibt so viel zu entdecken. Elke nannte es eine Phase. Sie hatte das hinter sich und las nur noch Zeitungen und Partituren.«
    Jetzt erst fiel Pilar das aufgeschlagene Buch auf dem runden Messingtisch unter der Stehlampe auf, daneben lag eine Brille. »Schuld und Sühne«. Dostojewskij. Eine Ewigkeit her, dass sie das gelesen hatte. Wäre sie nicht Literaturstudentin gewesen, hätte sie nach der Hälfte aufgegeben.
    »Ich bedauere, dass ich mich nicht um mehr Gemeinsamkeit bemüht habe. Wir glaubten beide, wir hätten noch jede Menge Zeit. Und nun …« Er schluckte hörbar. »Wer denkt schon daran, dass mit einem Schlag alles vorbei sein kann?«
    Pilar nickte. Dieser Mann würde sie verstehen. »Ich habe Angst«, sagte sie übergangslos. »Jemand war nachts im Haus und hat versucht, mich zu erschlagen. Mit einem Hammer.«
    »Oh mein Gott«, flüsterte Holzbeisser. »Die Einbrecher werden immer brutaler.«
    »Ich glaube nicht an einen Einbrecher.«
    »Erinnere dich, Pilar: Vorigen Winter ist in dieser Straße in drei Häuser eingebrochen worden. Es geht also wieder los.«
    »Der hatte es nicht auf Beute abgesehen, sondern auf mich.«
    »Du täuschst dich sicherlich, so angeschlagen, wie du bist, der Unfall, die Schmerzmittel …«
    Verärgert schüttelte Pilar den Kopf. »Mir ist zu viel passiert. Ich überlege, wer mich hasst.«
    Er hob beide Hände. »Wer sollte dich denn hassen? Ausgerechnet dich?« Er lächelte sie an. Seine Grübchen waren tief und rund. Das Lächeln brach in einem Hustenanfall zusammen.
    »Vielleicht beruht alles auf einem Missverständnis, einem bösen Gerücht. Wer hat deine Frau so gehasst, dass sie ihr Leben lassen musste?«
    Er schälte eine Pastille aus einer Packung mit grünem Aufdruck. »Elke war nicht einfach. Sie nahm kein Blatt vor den Mund. Ob sie anderen wehtat, kümmerte sie nicht.«
    Pilar dachte an ihren Streit mit Frau Holzbeisser. Für isländische Sagahelden wäre der Wortwechsel ein klarer Grund gewesen, einander einen Kopf kürzer zu machen – eine Verletzung der Ehre auf beiden Seiten.
    »Wem hat sie besonders wehgetan?«
    »Viele haben etwas abgekriegt. Jeder, an dem sie Fehler oder Schwächen entdeckt hat. Oft war es nur Spott. Und sie war gut darin, den Nagel auf den Kopf zu treffen.« Er lachte leise, als hätte er seine Frau für diese Fähigkeit auch ein bisschen bewundert.
    »Wie weit sind die polizeilichen Ermittlungen?«, fragte Pilar.
    »Sie haben mich nur von dem Inhalt des rechtsmedizinischen Gutachtens in Kenntnis gesetzt. Inneres Verbluten durch scharfe Gewalteinwirkung auf den Herzmuskel mit Eröffnung der Herzhöhlen , nennt es der Rechtsmediziner. Das Herz wies zwei Einstiche auf, dicht nebeneinander. Der Mörder hat zweimal zugestoßen, der Stichführung nach ein Rechtshänder.« Holzbeissers Stimme klang rau, als kämpfe er mit sich, um weiterreden zu können. »Ansonsten sagen sie mir nichts – mit Rücksicht auf den Gang der Ermittlungen, wie es hieß. Der Kommissar, mit dem ich zuletzt gesprochen habe, ließ nur durchblicken, dass sie eine Vielzahl von Hinweisen erhalten haben, denen sie nachgehen.«
    »Hoffentlich ist etwas Brauchbares dabei.« Pilar dachte an Katies Hinweise auf die Nachbarn.
    »Es ist grausam, nichts zu wissen.«
    »Ja«, sagte Pilar. »Das finde ich auch.«
    Das Gespräch geriet ins Stocken. Warum hatte sie geglaubt, es würde ihr helfen, mit ihm zu reden? Er war viel zu sehr von seinen eigenen Problemen in Beschlag genommen, von all der Trauer, die er verarbeiten musste.
    Sie fühlte sich plötzlich

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