Kottenforst
sich verbergen, um sie zu beobachten, aber vorstellen konnte sie sich das nicht.
Ich müsste die Panik in Person sein, dachte sie, aber ich bin es nicht, ich kann nicht glauben, dass jemand meinen Tod plant; es kommt mir vor wie ein tragischer Irrtum, eine Verwechslung.
Noch weniger aber konnte sie glauben, womit die Kommissarin sie hatte beruhigen wollen, als sie im Polizeipräsidium aufs Taxi wartete. Ahrbrück war extra die Treppe heruntergeeilt, um es ihr noch schnell zu sagen.
»Die Kollegen vom Einbruchsdezernat haben in ihrer Kartei einen Mann, der gern einen Hammer mit sich führt und als gewaltbereit gilt – der betritt ein Haus niemals ein zweites Mal.«
Eine junge Frau in einem blutroten knöchellangen Mantel überholte Pilar. Sie sah blondes Haar um ein rundes Kinn schwingen.
»Vivi?«
»Äh, Pilar, hab ich mich erschrocken.«
»Vivi, wir brauchen im Gemeindehaus dringend Hilfe bei den Theatersachen.«
»Ich hab in der Siebten Sport.«
»Das haut locker hin. Mit dem Fahrrad bist du von dort aus in drei Minuten in der Schule.
»Mein Rad hat einen Platten.«
»Frag deinen Freund, vielleicht packt er mit an«, schlug Pilar vor. Und weil sie Marvin im Sommer ein paarmal in Motorradkleidung gesehen hatte, fügte sie hinzu: »Ihr könntet auf seinem Motorrad kommen. Oder hat er das nicht mehr?«
Das Mädchen riss den Mund auf. In ihrem Gesicht sah Pilar etwas, das ihr echt und ehrlich vorkam: Entsetzen. War es schon da gewesen, als sie das Gemeindehaus erwähnt hatte?
Vivian schüttelte hastig den Kopf und eilte in die gegenüberliegende Straße mit den fast gleichen Reihenhäusern. Vor dem Haus mit der offenen Mülltonne blieb sie stehen. Im selben Moment tauchte neben ihr ein junger Mann in Schwarz auf – Marvin. Sein Gesicht war gelblich blass, sein Haar hing in Strähnen herab, ansonsten schien er nur aus Haut und Knochen zu bestehen, ein magerer Rabenvogel, neben dem die rote Vivian wirkte, als wäre sie dem Tropenhaus entflogen. Die beiden stiegen in einen schnittigen schwarzen Wagen, der am Straßenrand stand. Gehörte der Marvin? Vorurteile ja oder nein – das war verwunderlich, wenn man bedachte, dass er im Drogeriemarkt Regale einräumte, und das nicht mal regelmäßig.
Pilar setzte sich in Bewegung und erreichte das Fahrzeug, als Marvin den Motor anließ. Für taktische Überlegungen blieb keine Zeit. Sie klopfte ans Fenster, das Marvin daraufhin hinunterließ.
»Hallo, Marvin«, sagte Pilar nach Art einer nachsichtigen Tante, die ihn trotz seiner missmutigen Miene ins Herz geschlossen hatte. »Wo war das noch, wo du die Lehre gemacht hast? Ich frag jetzt nur wegen Lukas.« Lügen konnte sie auch, und in der Eile war ihr nichts Besseres eingefallen, womit sich ein Gespräch anfangen ließ.
»Hä? Der macht doch Abi«, äußerte sich Vivi vom Beifahrersitz.
»Hm, ist nicht so sicher.«
»Echt? Kann nicht sein«, beharrte Vivi.
Es konnte nicht sein, da hatte sie recht. Lukas hasste die Schule, hatte sich aber einen voraussichtlichen Abi-Durchschnitt von zwei Komma fünf ausgerechnet.
Marvin kramte eine Zigarette aus seiner Lederjacke. »Bauschreinern bei einem Arschloch. Soll er lieber lassen.«
Er ließ ein Feuerzeug aufflammen, zündete die Zigarette an und inhalierte. Die Zigarette war filterlos und sah selbst gedreht aus.
»Bauschreinern stell ich mir interessant vor. Was machen denn deine Freunde, der Bobbi und der Yannick?«
Marvin stieß Rauch aus beiden Nasenlöchern. »Scheiße, was soll das? Ich hab keinen Bock auf Verhör.«
Er hielt die Zigarette aus dem Fenster. Sein Handrücken war tätowiert. Die Asche sank auf Pilars Schuhe.
»Versteh ich«, verkündete Pilar leichthin. Im ersten Moment hatte sie die Tätowierung für eine Blume gehalten, jetzt erkannte sie, dass es ein kleines Skelett war, das die Beine überkreuz hielt und einen breitkrempigen Hut auf dem Schädel trug.
»Und mit dem Yannick hab ich nix zu tun.« Marvin warf den Kopf in den Nacken, als ginge es gegen seine Ehre, für Yannicks Freund gehalten zu werden.
Pilar ließ ihren Blick über die glänzende Motorhaube wandern, in der sich die Wolken spiegelten. »Schönes Auto.«
Er zuckte mit den Schultern. »Von ’nem Kumpel.« Er gab mehr Gas als nötig und löste die Handbremse.
Er sieht aus wie ein Neffe von Dracula, dachte Pilar, als sie durch die Abgaswolke davonging. Nur die Eckzähne sind zu kurz. Was Eiskaltes hat er an sich, und kein einziges Mal hat er mich angesehen. Für Kohle dreht
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