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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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er schon mal ein krummes Ding, und Katzen mag er bestimmt nicht, er ist mehr für Kreuzottern. Vorurteile , hörte sie Freddy sagen und sah seinen Blick vor sich. Jedenfalls benutzte Marvin kein Männerparfum mit Lederduft, er roch nach Zigarettenrauch und irgendetwas Ranzigem, das von seinen Haaren ausging. Er war es nicht, der in der Nacht an ihrer Bettkante gestanden hatte. Dass er mit leisem Tritt durch die Tür des dunklen Gemeindesaals entwichen war, konnte sie sich eher vorstellen.
    Inzwischen war Pilar vor dem Haus der Holzbeissers angekommen. Sie ging den Klinkerweg entlang und drückte den Messingknopf neben der makellosen weißen Tür. Sie dachte an ihre verkratzte Tür zu Hause. Der Kerl, der sie überfallen hatte, konnte gesehen haben, dass sie fortgegangen war. Er konnte während ihrer Abwesenheit mit dem Schlüssel ins Haus gelangen und ihr, wenn sie zurückkehrte, eins auf den Schädel geben, sodass sie nie wieder erwachte. Sie war eine Chaotin – statt auf der Stelle dem Impuls nachzugeben, mit irgendwem über das Erlebte zu reden, hätte sie den Schlüsseldienst anrufen müssen.
    Die weiße Tür öffnete sich. Einen Moment lang dachte sie: Vorsicht!, als wäre direkt vor ihr ein Warnschild aufgetaucht. Woher kam dieser Splitter eines Gedankens oder Gefühls? Was gaukelte die Einbildungskraft ihr vor – hatte sie Holzbeisser nicht zuletzt als unverdächtig eingestuft?
    »Wo brennt’s?«
    Klare blaue Augen, Grübchen in den Wangen. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er mehr als nur einer Frau gefiel. Und genauso gut konnte sie sich vorstellen, dass er keine Ahnung davon hatte. Konnte eine Frau sich dermaßen in ihn vergucken, dass sie ihn schnellstens für sich allein haben wollte, egal wie? Eine junge Ungestüme, die auf Männer Mitte fünfzig mit Arthrose im Knie stand? Oder eine reife Frau, von der Liebe wie von einem Orkan erfasst, sodass die Vernunft auf der Strecke blieb?
    Holzbeisser nahm behutsam Pilars rechten Arm und führte sie in sein geräumiges Wohnzimmer. Sie glaubte einen feinen Duft von Leder wahrzunehmen und glaubte es im nächsten Moment wieder nicht, als sein Atem sie traf. Thymian. Das war der Hustensaft, den sie, wenn nötig, auch nahm.
    »Also?« Er deutete auf die Sitzgruppe. Seine Stimme hörte sich kratzig an.
    Pilar setzte sich zögernd in den cremefarbenen Riesensessel, auf dem sie schon am Samstag gesessen hatte. Ihr wurde klar, dass sie ihm nicht nur von dem Überfall erzählen, sondern auch das andere zur Sprache bringen wollte, das sie beschäftigte. Er würde ihr die Frage übel nehmen. Sie würde sie womöglich falsch stellen. Sie entschied sich für Umwege.
    »Gibt es schon einen Termin für die Beerdigung?« Sie sah sein leichtes Erstaunen. Womöglich hatte sie eine halbseitige Anzeige in der Zeitung übersehen.
    »Die Rechtsmedizin hat die … hat sie freigegeben. Die Beerdigung ist am Donnerstag.«
    Er ging zu dem wuchtigen antiken Schreibtisch, der im Erker stand, und kam mit einem gefalteten Doppelblatt zurück. Durch das weiße Papier schimmerte das schwarze Kreuz im Innern. Pilar klappte das Blatt nur so weit auf, dass sie die Uhrzeit sehen konnte. Sie wollte nicht lesen, welche Worte er für seine Trauer gewählt hatte.
    »Ich werde da sein«, sagte Pilar mit leiser Stimme, als fürchtete sie, ihm mit lauteren Worten wehzutun. »Kommt deine alte Freundin auch?« Sie sah zu Boden, beschämt, weil sie mit der Traueranzeige in der Hand so schauderhaft berechnend war. Die Frage hätte sie doch aufschieben können!
    »Ich glaube, ja.« Holzbeisser schnäuzte sich und hustete anschließend. Es klang hart und quälend. Er lehnte den Kopf gegen die Rückenlehne seines Sessels. Einen Moment lang schloss er die Augen.
    Er sieht schlecht aus, fand Pilar, sein Gesicht wirkt ganz grau.
    »Entschuldige, ich bin ziemlich kaputt. Kannst du dir vorstellen, wie das ist, einen Sarg auszusuchen und alles andere – für die eigene Frau?«
    Das kommt auf viele von uns zu, dachte Pilar fröstelnd, für die eigene Frau oder den eigenen Mann. Sie blickte auf die braunrote Marmorplatte des Couchtisches. Keine weitere Frage, nein. Berechnend mochte sie ja sein, aber nicht herzlos.
    »Und was einem alles durch den Kopf geht … Ich war kein Musterehemann.«
    Pilar richtete sich unwillkürlich im Sessel auf.
    »Heiraten habe ich als spießig empfunden. Ich wollte aus Liebe bei Elke bleiben und nicht wegen eines Trauscheins.«
    »Wollte sie die Heirat?«
    »Unbedingt. Obwohl wir

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