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Kottenforst

Kottenforst

Titel: Kottenforst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Thiesmeyer
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erschöpft und verließ ihn.
    Verrückt nach Büchern, dachte sie, während sie die Straße in Richtung Apotheke entlangging, wo sie sich neue Schmerztabletten besorgen wollte. »Schuld und Sühne«. Diesen Mann traf am Tod seiner Frau ungefähr so viel Schuld wie sie selbst. Er hatte lesen und sie eine Vorstellung geben wollen. Er hatte die Nase in ein Buch gesteckt und sie das Messer in ihre Handwerkskiste gelegt.
    Vor dem Eingang der Apotheke saß der Dackel Jupp. Mit aufgestellten Ohren beobachtete er durch die Glastür den Rücken seines Herrn. Hinter der Theke stand Patricia. Als Pilar eintrat, schob Professor Dobbel gerade sein Portemonnaie in die Innentasche seines grauen Wintermantels. Ein leichter Ledergeruch ging von ihm aus. Er konnte von seinen Schuhen herrühren, die ziemlich neu wirkten. Oder von der alten Aktentasche, die er von der Ablage nahm. Nie zuvor war Pilar aufgefallen, wie schwierig die Zuordnung von Gerüchen war. Wahrscheinlich war sie inzwischen so durchgeknallt, dass ihre Nase in jedem Mann den Mörder witterte.
    Vor dem Professor türmten sich mehrere Packungen. Patricias schlanke Hände verstauten sie in einer Papiertüte. »Hier ist auch Ihr Tee«, sagte sie. »Möglichst heiß trinken, das wissen Sie ja.«
    »Ich vergesse ihn zu oft und lasse ihn kalt werden«, seufzte Professor Dobbel. »Als mein jüngster Sohn noch da war, kam das nicht vor. Aber er ist weg, hat plötzlich eine Frau gefunden. Ich muss allein klarkommen. Nicht so leicht, wenn man alt ist.«
    »Ihr älterer Sohn wohnt aber in der Nähe?«
    Der Professor stieß einen Laut aus, der sein ganzes Ungemach zu umfassen schien. »Ich sehe ihn nicht öfter, als wenn er in Paris wohnen würde.«
    »Freuen Sie sich, dass Sie noch so fit sind, Herr Professor.« Patricia lächelte ihn aufmunternd an.
    »Wozu fit sein? Nichts macht mir Spaß. Und diese Stille abends. Selbst Lesen bereitet mir keine Freude mehr, und ich bin kein Mensch, der den Fernseher einschaltet.«
    »Sie haben doch Ihren Hund.«
    »Der dreiundzwanzig Stunden am Tag schläft. Er ist alt. Gassi gehen, fressen, schlafen, man hört ihn kaum.«
    Patricias schmales Gesicht wirkte ratlos.
    »Sie sind jung, da ist alles anders.« Professor Dobbel nickte Patricia zu und nahm seine Tüte. Er grüßte mit geschlossenem Mund, als er an Pilar vorbeiging.
    Pilar hatte nicht gewusst, dass er solche Probleme hatte, sie wusste überhaupt wenig über ihn. Im vorigen Jahr hatte sie ihn mit einem seiner Söhne im Theater gesehen, in der Pause von »Don Carlos«. Sie erinnerte sich an Veras Bemerkung im Foyer, dass der Professor in seiner Vaterliebe geradezu fanatisch sei.
    »Was hast du denn gemacht?« Patricia deutete auf Pilars Schulter.
    Pilar hörte hinter sich weitere Kunden hereinkommen. Sie schilderte mit wenigen Worten ihren Reitunfall und merkte, wie Patricias Augen sich bereits auf die Neuankömmlinge richteten. Mehr konnte sie jetzt nicht erzählen.
    »Was für ein Pech, Pilar.« Patricia übergab ihr die Schachtel mit den gewünschten Tabletten. »Gute Besserung.«
    Als Pilar wieder vor ihrer Haustür ankam, öffnete sie das Gartentor und schaute durch das Fenster, das dahinter lag, in die Diele. Niemand zu sehen. Aber wenn er hinter der Ecke … in der Küche … oder auf der Kellertreppe … Sie musste es hinter sich bringen. Beherzt schloss sie die Tür auf und rief laut: »Ist da wer? Ich habe einen breitschultrigen Freund dabei!« Pilar bat den »Freund« herein und schwatzte, bis ihre Ohren etwas wahrnahmen.
    Jemand stieß auf den Boden. Pilar hielt die Luft an. Es kam aus dem Wohnzimmer. Der erfundene Freund war sinnlos, wenn der Eindringling von drinnen beobachtet hatte, wie sie allein auf die Haustür zugegangen war.
    Noch mal ein Stoßen. Tock-tock. Jemand mit einem Stock.
    Tock-tock. Näher kommend. Tock-tock. Im kleinen Flur.
    Sie schrie auf. Etwas Weißes sprang um die Ecke. Der Plastikschirm! Der Kater auf drei Beinen. Vom vierten Bein, dem halben, hing ein Pflaster herab. Pilar atmete aus. Ihr war nicht klar gewesen, dass es sich so anhörte, wenn er über die Fliesen lief. Mit drei Beinen war es mehr ein Springen.
    Goethe hatte sich von ihrem Schrei nicht irritieren lassen. Er versuchte, seinen Kopf an ihren Beinen zu reiben, und drückte den Rand des Schirms in ihre Wade. Sie kraulte seinen gewölbten Rücken und überlegte, ob es nicht doch angebracht gewesen wäre, mit dem nötigen Feingefühl bei Holzbeisser nachzubohren, um etwas über die alte

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