Kovac & Liska 02 - In aller Unschuld
helfen.
Sie ignorierte sie und hielt an der Tür zum Zimmer ihrer Tochter inne, auf der eine niedliche Fee einen Zauberstab an ein Schild hielt, auf dem zu lesen war: »Hier wohnt Prinzessin Lucy«. Carey Moore lehnte sich gegen den Türrahmen, drehte vorsichtig den Knauf und warf einen Blick ins Zimmer. Kovac sah ihr über die Schulter.
Lucy lag in ihrem Bett, das mit spitzenbesetzter blassrosa Bettwäsche bezogen war, und schlief den Schlaf der Gerechten. Ein süßes Kind. Vier oder fünf Jahre vielleicht, dicke dunkle Locken und ein Mund wie eine Rosenknospe. Eine kleine Lampe mit einem gefältelten lilafarbenen Schirm stand auf der anderen Seite des Bettes und verbreitete sanftes Licht.
Carey Moore betrachtete ihre schlafende Tochter einen Moment lang, die Wange gegen den Türrahmen gelegt, die Hand auf den Mund gepresst. Kovac nahm an, dass ihr gerade die Entscheidung durch den Kopf ging, die sie heute in ihrem Richterzimmer getroffen hatte und die weit über das Gerichtsgebäude und sie selbst hinausreichte. Jemand hatte zum Telefonhörer gegriffen und war in ihre Privatsphäre eingedrungen, an den Ort, an dem sie sich sicher fühlen sollte, den Ort, an dem ihre Tochter sicher sein sollte.
Die meisten Leute hatte keine Ahnung, dass ihre Sicherheit reine Illusion war. Eine Alarmanlage ließ sich durch das Durchschneiden eines einzigen Drahts außer Kraft setzen. Ein Gebäude, in dem vierundzwanzig Stunden am Tag ein Wachmann an der Tür saß, hatte eine Tiefgarage, deren Tor immer wieder lange genug offen stand, damit ein Fremder hinter einem Bewohner des Hauses hineinfahren konnte. Jede Mauer konnte überwunden werden. Jede verschickte E-Mail konnte mit ein paar Mausklicks abgefangen werden. Ein unbedachter Moment, und die eigene Identität konnte einem aus der Handtasche geklaut werden. Ein Telefonanruf genügte, und ein Zufluchtsort wurde zum Gefängnis.
Kovac griff an der Richterin vorbei und schloss die Tür.
»Sie sollten lieber ins Bett gehen, bevor Sie noch umkippen«, murmelte er.
Das Schlafzimmer der Moores sah aus, als gehörte es in ein Fünf-Sterne-Hotel. Nicht, dass Kovac jemals einen Fuß in ein solches Hotel gesetzt hätte. Die Hotels, in denen er übernachtete, boten meist nur Styroporbecher, eine grelle Deckenlampe und verdächtige Flecken auf geschmacklosen Bettüberwürfen. Fünf-Sterne-Hotels kannte er nur aus dem Fernsehen, wenn er gelegentlich seiner heimlichen Leidenschaft für den Travel Channel frönte.
Das in dunklen Gold- und Rottönen gehaltene Zimmer strahlte mit seinen schweren, teuren Stoffen, dem dicken Teppich, dem antiken Mobiliar und den geschickt ausgeleuchteten Gemälden Wärme aus. Die Nachttischchen waren mit Erinnerungsstücken vollgestellt – das Foto eines rotwangigen Babys in einem Silberrahmen, ein vergoldetes Schmuckkästchen, dessen Deckel mit winzigen, exotischen Muscheln und kleinen Perlen verziert war; ein Schwarzweißfoto von ihr mit Doktorhut und Talar, an ihrer Seite ein großer, gut aussehender und elegant gekleideter Mann mit grauen Haaren. Ihr Vater, Richter Alec Greer. Voller Stolz lächelten sich die beiden an.
Kovac legte seine Visitenkarte neben das Foto.
»Soll ich wirklich nicht versuchen, Ihren Mann ausfindig zu machen?«, fragte er, als sich die Richterin vorsichtig gegen einen Berg von bestickten Kissen auf dem Bett sinken ließ.
»Nicht nötig, danke«, sagte sie mit leiser Stimme.
Kovac zuckte die Achseln. »Wie Sie wollen. Wenn Sie meine Frau wären und ich wüsste, dass Sie überfallen wurden, dann wäre ich garantiert an Ihrer Seite zu finden. Und es wäre mir völlig egal, wenn ich dafür ein Abendessen mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten absagen müsste.«
»Dann geben Sie bestimmt mal einen guten Ehemann ab«, murmelte sie, schloss die Augen und schloss damit auch ihn und seine Kommentare aus.
»Na ja, bis jetzt habe ich das noch nicht geschafft«, murmelte Kovac, als er das Zimmer verließ.
Zwei Ehen hatte er schon vergeigt. Und trotzdem wusste er, er würde bei seiner Frau sein wollen, wenn sie verletzt und verängstigt wäre. Es war die Aufgabe eines Ehemanns, seine Frau zu schützen und für sie da zu sein. Offensichtlich wusste Carey Moores Mann das nicht.
Das Kindermädchen stand am Treppenabsatz und machte einen reichlich hilflosen Eindruck.
»Hat Mr. Moore sich heute Abend schon gemeldet?«, fragte Kovac.
»Nein.«
»Macht er das immer so? Ausgehen und niemandem Bescheid geben? Ruft er nicht an, um
Weitere Kostenlose Bücher