KR114 - Ich und der Mord im Jazz
Mit seiner Hilfe hatte ich meine Rechnerei mit Zirkel und Lineal und Winkelmesser nach einer Viertelstunde beendet.
Nun stimmte die Sache aber haargenau, und ich war hoch befriedigt.
Dann holte ich mein Zigarettenetui aus der Tasche und holte die zwei Zigarettenreste heraus, die ich auf dem Gang aufgelesen hatte.
Ich betrachtete sie.
Sie waren beide in sorgfältiger Präzision flachgetreten, und sie zeigten beide auf der einen Seite eine feine wabenförmige Musterung.
Auf der einen war der Teil eines Ovals zu erkennen und darin die letzten zwei Ziffern einer Seriennummer: 77. Auf der anderen war das Oval nur zu einem ganz geringen Teil abgedrückt. Immerhin ließ sich auch hier noch eine halbierte 7 und eine darauffolgende ganze 7 erkennen.
Phil stöhnte auf, als ich ihm die beiden Zigarettenenden zeigte.
»Na ja, ein Mann mit wabenförmig genoppter Gummisohle, in der eine Seriennummer mit 77 als den beiden letzten Zahlen eingeprägt war, hat diese Zigaretten ausgetreten. Das ist so ungewöhnlich, dieser ganze alberne Krimskrams mit Leukoplaströllchen, Winkelberechnung, Zigarettenkippen. Fehlt nur noch, daß du einen auch irgendwo gefundenen Hosenknopf präsentierst und mit gefurchter Stirn sagst: Der Mörder war Linkshänder, trank gern Tee und stammt aus einer schottischen Bauernfamilie streng religiöser Gesinnung.«
»Ich will nicht wissen, ob der Mörder Linkshänder war, sondern wer der Mörder war.«
»Na und, weißt du es?«
Ich zuckte die Achseln und verstaute die Kippen in meinem Etui.
***
Plötzlich klopfte es.
»Herein!« sagte ich. Die Tür öffnete sich. Da stand ein Mann mit einem Gitarrenkasten unter dem Arm-Er hatte den Mantelkragen hochgeschlagen, klapperte vor Kälte und sah ängstlich aus.
Man wäre geneigt gewesen, ihm ein paar Cent oder einen Teller Suppe zu verabreichen, wenn er nicht so gut gekleidet gewesen wäre.
Ich erkannte in ihm den Gitarristen, der gestern nach der Ermordung Wielys wie ein Verrückter gelacht hatte.
»Kommen Sie rein!« sagte ich. Und dann, als er sich aus dem Mantel gepellt hatte, immer noch ohne ein Wort zu sagen, schob ich ihm den Besucherstuhl in die Kniekehlen und goß ihm einen Whisky ein.
Er schien ihn nötig zu haben.
Wir hatten eine Weile Geduld mit ihm.
Er saß da sehr jämmerlich und süffelte still und ängstlich seinen Whisky in sich hinein.
Ich sah, daß der Mann etwas auf dem Herzen hatte und nicht recht wußte, wie er anfangen sollte.
»Warum haben Sie Ihre Gitarre bei sich?« fragte ich.
»Ich brauche sie doch zur Vorstellung heute abend!«
»Natürlich. Aber schleppen Sie das Ding immer den ganzen Tag mit sich rum?«
»An sich nicht. Aber mich bringen heute keine zehn Pferde in meine Wohnung.«
»Warum nicht?«
»Weil man mich abknallen würde. Sie stehen sicher schon vor meinem Haus und warten.«
»Abknallen?« sagte ich. »Natürlich.« Und dann: »Warum eigentlich? Glauben Sie, weil ein Gitarrist erschossen wurde, würden nun gleich sämtliche Gitarristen New Yorks gekillt?«
»Sie haben den Falschen erschossen.«
»Jack Guitar Wiely war der Falsche?«
»Ja.«
»Und wer war der Richtige?«
»Ich.«
»Klar. Das heißt: absolut unklar. Wieso waren oder sind Sie der Richtige?«
»Das Päckchen klebte in meiner Gitarre, und'ich habe es gefunden.«
»Hören Sie, Mister…«
»Carmicheal.« Ich lehnte mich nach vorn und faltete die Hände: »Hören Sie, Mr. Carmicheal, ich habe den Eindruck, daß Sie zu uns gekommen sind, weil wir Ihnen helfen sollen. In einem solchen Fall wäre es das beste, Sie würden mal der Reihe nach erzählen.«
Carmicheal legte jetzt erst die Gitarre weg, die er bis jetzt auf dem Schoß gehalten hatte.
»An Wielys Körper war ein Riß, der gelackt werden mußte, damit er sich nicht erweiterte.«
Merkwürdig berührt blickte ich Phil an. Ich erinnerte mich an das hysterische Gelächter des Mannes gestern abend.
Vielleicht war er durch den Schock etwas verrückt geworden.
Phil schien der gleichen Meinung zu sein, denn er machte ganz alarmierte Augen und schielte zum Telefon.
Ich sagte: »Natürlich, so ein Riß an so einem Körper, der muß gelackt werden, nicht wahr. Was sollte man sonst mit so einem Riß machen.«
»Der Körper einer erstklassigen Getarre besteht aus mehreren Schichten Edelholz. Sehr feine, empfindliche Schichten, die übereinandergelegt und gepreßt werden.«
Ich atmete auf: »Sie meinen Wietys Gitarrenkörper?«
»Was denn sonst?«
Nun war an ihm die Reihe, uns
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