Krabat (German Edition)
las ihnen jeweils einen bestimmten Abschnitt aus dem Koraktor vor, dreimal im Ganzen, den mussten sie wiederholen – gleichgültig, was und wie viel sie davon behalten hatten: in diesem Punkt war der Meister nicht kleinlich.
Krabat war eifrig darum bemüht, sich alles, was sie der Meister lehrte, zu merken: den Wetterbann und den Hagelzauber, das Festmachen und den Umgang mit Freikugeln, das Sich-unsichtbar-Machen, die Kunst des Aus-sich-Hinausgehens und was sonst an der Reihe war. Tagsüber bei der Arbeit und nachts vor dem Einschlafen wiederholte er unermüdlich die Texte und Formeln, um sie sich einzuprägen.
Denn Krabat hatte inzwischen begriffen: Wer in der Kunst der Künste bewandert war, der gewann über andere Menschen Macht; und Macht zu gewinnen – so viel, wie der Meister besaß, wenn nicht mehr –, das erschien ihm als hohes Ziel, dafür lernte und lernte und lernte er.
Es war in der zweiten Woche nach Ostern, da wurden die Mühlknappen eines Nachts aus den Betten geholt. Der Meister stand in der Tür des Schlafraums, ein Licht in der Hand.
»Es gibt Arbeit, der Herr Gevatter kommt, tummelt euch, tummelt euch!«
Krabat fand in der Aufregung seine Schuhe nicht, barfuß lief er den anderen nach, vor die Mühle hinaus.
Es war Neumond, die Nacht war so schwarz, dass die Mühlknappen nicht die Hand vor den Augen sahen. Jemand trat Krabat im allgemeinen Gedränge mit seinen Holzschuhen auf die Zehen. »He!«, rief der Junge. »Kannst du nicht aufpassen, Trampeltier!«
Da verschloss eine Hand ihm den Mund. »Kein Wort mehr!«, flüsterte Tonda.
Dem Jungen fiel auf, dass keiner der Burschen gesprochen hatte, seit sie geweckt worden waren. Sie blieben auch weiter stumm, für den Rest der Nacht; Krabat desgleichen.
Er konnte sich denken, welcherart Arbeit ihnen bevorstand. Bald schon, mit lodernder Hahnenfeder am Hut, kam der Fremde auf seinem Fuhrwerk dahergerasselt. Die Burschen stürzten zum Wagen, sie rissen die schwarze Plane auf und begannen die Säcke ins Haus zu schleppen – zum Toten Gang in der hintersten Ecke der Mahlstube.
Es war alles wie vor vier Wochen, als Krabat die Burschen durchs Giebelfenster beobachtet hatte, nur dass der Meister sich diesmal neben dem Fremden aufs Sitzbrett des Wagens schwang. Heute war er es, der mit der Peitsche knallte: knapp über ihre Köpfe weg, dass die Burschen sich duckten, wenn sie den Luftzug spürten.
Krabat hatte schon fast vergessen, wie schwer man zu schleppen hatte an solch einem vollen Sack und wie rasch man dabei außer Atem kam. »Gedenke, dass du ein Schüler bist!«
Die Worte des Meisters: Je länger er drauf herumkaute, desto weniger schmeckten sie ihm.
Die Peitsche knallte, die Burschen rannten, das Mühlrad lief an und das Rattern und Jaulen des Toten Ganges erfüllte das Haus. Was enthielten die Säcke wohl? Krabat warf einen Blick in die Schütte. Im spärlichen Licht der Laterne, die unter der Decke schaukelte, war nicht viel zu erkennen. Waren es Rossäpfel, die er hineinkippte, waren es Föhrenzapfen? Es konnten auch Steine sein, runde, schmutzverkrustete Steine …
Dem Jungen blieb keine Zeit zu genauerem Hinsehen, schon kam Lyschko herangekeucht mit dem nächsten Sack. Krabat den Ellbogen in die Rippen stoßend, drängte er ihn beiseite.
Michal und Merten hatten am Auslauf des Mahlkastens Posten gefasst, sie füllten das fertig vermahlene Gut in die leeren Säcke ab und verschnürten sie. Nun ging alles wie damals weiter. Beim ersten Hahnenschrei war die Fuhre aufs Neue vollgepackt, war die Plane geschlossen und festgezurrt. Der Fremde griff nach der Peitsche – und hussa!, preschte er mit dem Wagen los: so schnell, dass der Meister gerade noch abspringen konnte, ohne den Hals zu brechen.
»Komm!«, sagte Tonda zu Krabat.
Während die anderen Burschen im Haus verschwanden, gingen die beiden zum Weiher hinauf, um die Schleuse zu schließen. Sie hörten, wie unten das Mühlrad auslief und alles still wurde; nur der Hahn krähte und die Hühner gackerten.
»Kommt er oft?«, fragte Krabat und deutete mit dem Kopf in die Richtung, wo das Gefährt im Nebel verschwunden war.
»Jede Neumondnacht«, sagte Tonda.
»Du weißt, wer er ist?«
»Nur der Meister weiß das. Er nennt ihn den Herrn Gevatter – und fürchtet ihn.«
Langsam gingen sie durch die taufeuchten Wiesen zur Mühle hinab.
»Etwas versteh ich nicht«, meinte Krabat, bevor sie das Haus betraten. »Das letzte Mal hat der Meister mitgearbeitet, als der
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