Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
oder Schweizer oder etwas anderes ist. Entscheidend ist, dass er sich genauso wie ein Zigeuner benimmt, und deswegen bin ich der Meinung, dass man nicht als Zigeuner zur Welt kommt, sondern zum Zigeuner wird.« Ich habe mich ohne jeden weiteren Kommentar von ihr verabschiedet.
Donnerstag, 23. März, 23.45 Uhr
Heute Morgen bat mich Elisabetta, mich mit ihrem Kampf für die Hunde dieser Welt solidarisch zu erklären. Sie berichtete mir, dass die Mitbewohner drauf und dran seien, für eine interne Regelung zu stimmen, welche Hunde im Fahrstuhl untersagt, und dass dieses Gesetz gegen ihren armen Valentino gerichtet sei. Sie erinnerte daran, dass auch in den Vereinigten Staaten der Rassismus damit angefangen habe, dass man Schwarzen verbot, sich im Bus neben Weiße zu setzen. Sie wollte von mir eine Unterschrift unter eine Petition zur Verteidigung des Rechtes von Valentino und seinesgleichen in aller Welt, Aufzüge, U-Bahnen, Flugzeuge, Züge, Schiffe benutzen zu dürfen, als Erbe eingesetzt zu werden, Geschlechtsverkehr zu haben und ein Dach über dem Kopf etc. Ich habe diese Petition wortlos unterzeichnet.
Mittwoch, 27. August, 22.49 Uhr
Heute Morgen traf ich Elisabetta. Sie war sehr traurig. Sie sagte, sie hoffe immer noch, dass Valentino heimkomme und dass sie im Besitz unanfechtbarer Beweise sei, die belegten, dass sardische Entführerbanden mit dem Fall ihres kleinen Lieblings zu tun hätten. Dieses Hündchen hat zweifellos die Leere gefüllt, die sie nach dem Tod ihres Ehemanns und dem Auszug ihres einzigen Sohnes fühlte. Valentino ist nicht einfach ein Hund, sondern ein richtiger Gefährte, der sie vor der Einsamkeit bewahrt.
Sonntag, 20. Oktober, 23.08 Uhr
Elisabetta geht es von Tag zu Tag schlechter. Heute Abend sah ich sie barfuß auf der Piazza San Vittorio umhergehen und ihren verschwundenen Hund rufen. Elisabetta tut mir leid. Wie bringt man es nur fertig, sein Herz so sehr an ein Tier zu hängen?
Die Wahrheit der Maria Cristina Gonzalez
Wenn ich mal heirate und ein Kind habe, dann werde ich es Amedeo nennen. Das ist ein Versprechen, das ich mir selbst schon vor Jahren gegeben habe. Leider habe ich bis heute noch nicht das Glück gehabt, Kinder zu bekommen, obwohl ich schon öfter schwanger war. Ich weiß, dass die Kirche, der Papst und die Priester ganz entschieden gegen Abtreibung sind. Aber wieso denken die nur an den Embryo? Verdiene ich nicht auch ein bisschen Fürsorge und Aufmerksamkeit? Wer kümmert sich um die arme Maria Cristina Gonzalez?
Herr Amedeo ist der Einzige, der nett zu mir ist und der mir auch in schwierigen Situationen zur Seite steht. Ich bin ein Pechvogel und dumm bin ich auch, das bestreite ich ja gar nicht. Viele verstehen meine Situation nicht und wundern sich. Denn normalerweise freuen Frauen sich unheimlich, wenn sie bemerken, dass sie schwanger sind. Mich aber bringt das zum Heulen, aus lauter Angst vor Geldnot, vor der Zukunft, vor der Polizei, einfach vor allem. Dann sag ich der Signora Rosa den üblichen Satz: »Ich muss ein bisschen was einkaufen« und gehe weinen auf den Stufen im Treppenhaus. Sehen darf sie mich dabei nicht, sonst würde ich schnell auf der Straße landen. Schon öfter hat sie mir gesagt, dass Jammerei ihr Sargnagel wäre. Und sie hat Angst vor dem Sterben. Am Anfang hab ich bloß auf der Toilette geweint. Aber das Klo ist ein scheußlicher und trauriger Ort. Da kommt keiner und rettet mich. Weil Amedeo nicht mit dem Aufzug fährt, sitze ich lieber im Treppenhaus. Er ist der Einzige, der mich fragt, wie’s mir geht. Ich erzähle ihm meine Probleme und weine in seinen Armen.
Die Signora Rosa ist 80. Seit zehn Jahren ist sie gelähmt. Ihren Rollstuhl verlässt sie bloß, wenn sie aufs Klo muss und wenn sie sich ins Bett legt. Sie hat vier Kinder, die sie sonntags abwechselnd besuchen und nur ein paar Stunden bleiben. Wenn einer von ihnen kommt, habe ich frei: von mittags bis Mitternacht. Ich weiß gar nicht, was ich in meinem bisschen Freizeit zuerst machen soll. Ich schau hinauf zur Uhr an der Wand und hoffe aus tiefstem Herzen, dass die Zeit stehenbleibt, damit meine Freiheit ein wenig länger dauert. Ich tu alles, um keine wertvollen Minuten zu verlieren, mach mir ein volles Programm – und tu dann doch jedesmal dasselbe: Ich gehe zum Bahnhof Termini, wo sich die peruanischen Einwanderer treffen. Ihre Gesichter stillen den Durst meiner Augen und ihre Worte wärmen meine kalten Ohren. Das ist wie daheim sein, in Lima. Ich begrüße und küsse
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