Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
alle, auch wenn ich einige noch gar nie zuvor gesehen hab. Dann setze ich mich auf den Gehsteig und verputze peruanisches Essen, Reis mit Huhn und Lomo saltado und Sibice. Ich rede stundenlang, rede mehr, als dass ich zuhöre, deshalb nennen sie mich auch Maria Cristina, die Plaudertasche.
Wenn’s anfängt zu dämmern, steigt langsam Unruhe in mir auf; ich fühle, dass meine Reise in die Freiheit allmählich zu Ende geht. Drum halt ich mich dann an den Bier- und Piscoflaschen fest, um nicht so von der Traurigkeit überschwemmt zu werden. Ich trinke viel, damit ich die Welt und meine Probleme vergesse. Ich bin dort nicht die Einzige, die jeden Tag mit dem Alter und dem nahenden Tod zu tun hat. Wir sind viele. Und was uns verbindet, ist das Schicksal, eine Arbeit mit alten Menschen zu tun, die quasi jeden Moment von einer Welt in die andere übergehen könnten. Im Verlauf dieser Stunden mutieren wir zu einer Meute mit losen Sitten. Bei einigen löst sich die Zunge und heraus kommen Beleidigungen in Spanisch und Italienisch. Schließlich provoziert irgendwer die neben ihm Sitzenden, und urplötzlich fliegen die Fäuste und es hagelt reihum Schläge. Dann ziehe mich lieber unauffällig zurück und gehe im Schutz der Nacht mit einem jungen Mann weg, der mir in jeder Hinsicht ähnlich ist. Ein jeder von uns beiden entleert die eigene Lust samt Hoffnung, Furcht, Angst, Traurigkeit, Wut, Hass und Enttäuschung in den Körper des anderen – eilig wie Tiere, die fürchten, dass ihre fruchtbaren Tage ungenutzt verstreichen könnten. Wir legen uns auf eine einsame Parkbank oder auf am Boden ausgebreitete Zeitungsblätter. Ganz oft vergesse ich die Diane, und daher kommt auch mein Problem mit den Schwangerschaften und dass ich so panisch abtreiben muss. Mir ist schon klar, dass die Pille sehr wichtig ist, aber ich vergess sie halt jedesmal im Suff.
Der alten Rosa wünsch ich oft den Tod. Aber ich brauch bloß an die Konsequenzen zu denken, dann packt mich auch schon wieder die Reue, weil ihr Tod auch mein Ende sein könnte. Wo sollte ich denn hingehen? Wie soll ich dann meiner Familie in Lima Geld schicken? Was würde aus mir werden? Dieses Leben ist einfach alles andere als gerecht. Oder ist es etwa richtig, dass ich meine Jugend als Gefangene inmitten von Totengeistern zubringe? Ich wünsche mir eine Wohnung, einen Mann und Kinder. Ich stelle mir vor, wie ich morgens aufstehe, die Kinder zur Schule bringe, zur Arbeit gehe, nachts in den Armen meines Mannes liege, bis sich schließlich unsere Körper auf einem bequemen Bett vereinigen und eben nicht auf einer traurigen Parkbank oder in einem verlassenen Zug oder unter einem abseits stehenden Baum.
Ich würde gern in Ruhe leben, aber ich habe ja noch nicht mal gültige Papiere. Ich bin wie ein Boot mit zerrissenen Segeln, das den Felsen und den Wellen völlig ausgeliefert ist. Hätte ich eine Aufenthaltsgenehmigung, dann würde ich es der neapolitanischen Hausmeisterin nicht gestatten, so mit mir umzuspringen und mich zu beleidigen. Sie nennt mich immer »La Filippina«. Ich hab ihr so oft gesagt: »Ich bin nicht von den Philippinen, sondern aus Peru!« Ich komme aus Lima und verstehe überhaupt nicht, wie man Peru und die Philippinen verwechseln kann. Ich weiß auch nicht, warum sie mich dauernd so kränken muss. Irgendwann mal habe ich die Geduld verloren und gesagt: »Warum behandelst du mich so verächtlich? Hab ich dir gegenüber vielleicht zu wenig Respekt gezeigt, ohne dass mir das bewusst war?« Zum Beispiel weiß ich, dass sie aus Neapel ist, habe sie aber nie abfällig »La Napoletana« genannt. Mehr als einmal habe ich zu ihr gesagt: »Warum gehst du so mies mit mir um? Siehst du nicht, dass wir dieselbe Religion haben und dass wir beide das Kruzifix und die Jungfrau Maria verehren?«
Ich fürchte mich vor der Hauswartin. Sie könnte mich anzeigen, ich hab doch keine Aufenthaltsgenehmigung. Und wenn ich der Polizei in die Hände falle, dann machen sie mit mir kurzen Prozess, und ich finde mich auf dem Flughafen von Lima wieder, so schnell kann ich gar nicht schauen. Dann wäre ich zurück in der Armutshölle. Ich will nicht nach Peru zurück, bevor ich mir nicht meinen Traum von Wohnung, Mann und Kindern erfüllt habe. Wenn ich erst eine Aufenthaltsgenehmigung habe, dann werde ich ihr ohne Angst alles sagen, wonach mir ist! Dann werde ich nicht mehr »Signora Benedetta« zu ihr sagen, sondern »Du neapolitanische Hausmeisterin!« Bis dahin kann ich nur zur
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