Krach der Kulturen um einen Fahrstuhl an der Piazza Vittorio - Roman
erhebe mich vom Sofa, geh näher hin und fixiere den Bösen oder die Böse mit meinem Blick: »Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du kriminelle Kanaille, du wirst das bekommen, was du verdienst, am Ende siegt das Gute!« Oder: »Wie gemein du bist, Carolina! Warum behandelst du Eleonora so schlecht, diese arme Waise? Verfluchtes Miststück, du verdienst die Hölle!« Oder: »Julio, du wirst keinen Frieden finden, du bist ein Krimineller und wirst deine Strafe bekommen. Dafür wird der junge, elegante Alfonso Rodriguez schon sorgen!«
Gestern habe ich auf Rai 3 eine Sendung über Unfruchtbarkeit gesehen und gelernt, dass Angst der Hauptgrund dafür ist. Um mich zu trösten, hab ich mir gesagt, dass die Abtreibungen wenigstens ein Gutes haben: Sie liefern mir den Beweis, dass ich gesund bin. Und das bedeutet, dass es glücklicherweise für mich noch Hoffnung gibt, eines Tages Kinder zu haben und einen Ehemann und eine Wohnung und die Figur von Claudia Schiffer, Eva Herzigova, Naomi Campbell, Laetizia Casta oder der Frau von Richard Gere, an deren Namen ich mich gerade nicht erinnere. Gut möglich, dass ich schon sehr bald eine berühmte Schauspielerin bin, jetzt, wo der junge Holländer Johan so darauf bestanden hat, dass ich in seinem nächsten Film mitspiele. Ich hab ihm gesagt, dass ich keine Aufenthaltsgenehmigung habe, aber für ihn spielt das keine Rolle. Ich hab ihn gebeten, mir ein wenig Zeit zum Abnehmen zu geben, aber da wurde er wütend: »Ich hasse das Hollywoodkino, weil es die Realität verrät. Du darfst nichts abnehmen! Deine Pfunde machen dich doch schöner!« Als er sich dann beruhigt hatte, entschuldigte er sich: »Ich bin gegen jede Form von Catenaccio!« Ich verstand die Bedeutung seiner Worte nicht und hab mich gewundert: »Was ist denn ein Catenaccio?« Manch einen hier im Haus hab ich sagen hören, der Blonde ist doch verrückt. Egal, ich muss ihn ja nicht heiraten und Kinder mit ihm haben. Was ich wirklich will, ist, eine berühmte Schauspielerin zu werden. Dann möchte ich sehen, wer es wagt, der Signora Maria Cristina Gonzalez – schlank, schön, Mutter von Amedeo junior – zu verbieten, den Aufzug zu benutzen.
Fünfter Wolfsgesang
Samstag, 23 . Mai, 22 . 55 Uhr
Heute habe ich im
Corriere della Sera
einen Artikel mit der vielsagenden Überschrift »Ist der Italiener ein Dinosaurier?« gelesen. Der Artikel analysiert das Problem der sinkenden Geburtenrate Italiens, die auch im weltweiten Vergleich sehr niedrig liegt. Der Autor hält es für möglich, dass die Italiener im kommenden Jahrhundert aussterben werden. Die Lösung läge in einer steigenden Anzahl von Einwanderern. Vielleicht sollte man mit der chinesischen Regierung ein Abkommen über den Import von Menschen unterzeichnen. Es gibt ja wirklich viele alte Leute hier in diesem Land.
Sonntag, 26 . Oktober, 23 . 29 Uhr
Heute Nachmittag habe ich Maria Cristina am Bahnhof Termini mit ihren Landsleuten gesehen. Sie kam mir glücklich vor, wie ein Fisch, der nach kurzem Überlebenskampf außerhalb des Wassers ins Meer zurückkehrt. Diese junge Frau kann einem leidtun; außer für wenige Minuten zum Einkaufen kommt sie nie aus dem Haus. Sie leidet fürchterlich unter ihrer Einsamkeit, da oben, in diesen vier Wänden.
Mittwoch, 23 . Juni, 21 . 58 Uhr
Heute Abend habe ich im Fernsehen einen schönen Film mit Alberto Sordi und Claudia Cardinale gesehen. Er erzählt die Geschichte eines gewissen Amedeo, eines Einwanderers, der in Australien arbeitet. Das frühere Leben italienischer Einwanderer ähnelt sehr dem Leben derer, die heutzutage nach Italien kommen. Ob damals oder heute – ein Einwanderer bleibt immer ein Einwanderer. Es ändern sich jeweils nur Sprache, Religion und die Farbe der Haut.
Dienstag, 26 . Oktober, 23 . 44 Uhr
Morgen geht Maria Cristina zum Arzt, um einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Und das ist nicht das erste Mal. Stefania hat Recht, wenn sie sagt, dass Maria Cristina noch ins Guinnessbuch der Rekorde kommt, weil sie so oft abgetrieben hat. Ich frage mich, ob ich nicht bin wie sie, ob das, was ich tue, etwas anderes ist als abzutreiben. Ist mein Wolfsgeheul ein Wahrheitsabbruch? Auuuuuuuuuuu …
Donnerstag, 3 . Juni, 22 . 09 Uhr
Heute Morgen habe ich einen Artikel von Karl Popper über den Einfluss des Fernsehens auf unser Alltagsleben gelesen. Der Philosoph erklärt, dass das Fernsehen ein Familienmitglied geworden und dass seine Stimme in einer Familie die meistgehörte sei. Maria Cristina hat
Weitere Kostenlose Bücher